24. Februar 2021

Wer haftet für die bAV beim Betriebsübergang in der Insolvenz? (EuGH (Fünfte Kammer), Urteile vom 9.9.2020 – C-674/18, C-675/18, und BAG-Urteil vom 26.1.2021 – 3 AZR 139/17)

Die Haftung für Leistungen aus einer bAV ist für den Erwerber eines insolventen Betriebs ebenso relevant wie für die betroffenen Arbeitnehmer. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) haben sich mit dem Thema beschäftigt.


Hintergrund
Bei einem Betriebsübergang ohne Insolvenz geht der gesamte Anspruch eines mitgegangenen Arbeitnehmers auf eine bAV auf den Erwerber über. Das ist in § 613a Abs. 1 BGB geregelt. Von diesem Grundsatz abweichend hat das BAG in seinem Urteil vom 17.1.1980 (3 AZR 160/79) jedoch für einen Betriebsübergang in der Insolvenz entschieden, dass das heutige Insolvenzrecht Vorrang hat. Das bedeutet, dass der beim insolventen Arbeitgeber vor dem Betriebsübergang erdiente Anspruchsteil nicht auf den Erwerber übergeht. 

Was bedeutet diese Aufteilung für den Arbeitnehmer?
Soweit Ansprüche nach dem Betriebsübergang erworben werden, bestehen keine Unterschiede – der Anspruch richtet sich immer gegen den Erwerber. Für den vor dem Betriebsübergang beim insolventen Arbeitgeber erworbenen Anspruchsteil war zu unterscheiden, ob die bAV-Zusage bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits gesetzlich unverfallbar (§ 1b Betriebsrentengesetz (BetrAVG)) war.
1. Für eine bAV-Anwartschaft, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen erfüllt hat, richtet sich der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Pensions-Sicherungs-Verein VvaG (PSVaG). Hier greift also für die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdienten Ansprüche die gesetzliche Insolvenzsicherung.
2. Für eine bAV-Anwartschaft, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen noch nicht erfüllt hat, hat der Arbeitnehmer lediglich einen Anspruch gegen die Insolvenzmasse. 

Mindestschutz: Voraussetzung für Vereinbarkeit mit Unionsrecht
In einem Klageverfahren hatte das BAG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die bisherige Rechtsprechung zum § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Das hat der EGH mit Verweis auf Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergangs-Richtlinie) bejaht, der auch neben den nur in der Insolvenz geltenden Bestimmungen in deren Art. 5 anwendbar bleibt. Voraussetzung ist, dass ein Mindestschutz nach Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG (Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) gewährt wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt dieser Mindestschutz Folgendes voraus: 

  • Einem Versorgungsberechtigten müssen bei Insolvenz seines Arbeitgebers mindestens 50 Prozent der erdienten Altersrentenleistungen erhalten bleiben. 
  • Darüber hinaus darf die Kürzung nicht dazu führen, dass der Versorgungsberechtigte seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann. 

Die zuletzt genannte Voraussetzung bejaht der EuGH, wenn ein Versorgungsberechtigter durch die Kürzung der Altersleistungen unterhalb der vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) für den betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste. Dieser unionsrechtlich gebotene Mindestschutz wird nach Einschätzung des BAG in Deutschland durch einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden und gegen den PSVaG gerichteten Anspruch gewährleistet. Eine Haftung des Erwerbers scheidet deshalb aus.

Der EuGH stellte erneut – wie schon in seinem Urteil zum Insolvenzschutz von Pensionskassenzusagen (BAG-Urteil vom 21.7.2020 –3 AZR 142/18) fest, dass ein Verstoß gegen Art. 8 RL 2008/94/EG unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Direktanspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung führen kann. 

Aktuelles BAG-Urteil: Wie funktioniert der PSVaG-Mindestschutz?
Das BAG wird erklären müssen, wie dieser Mindestschutz durch den PSVaG funktioniert – im BetrAVG steht er nämlich noch) nicht. Sobald die Urteilsgründe des BAG für seine Entscheidung am 26.1.2021 vorliegen, wird der Weitblick berichten.

Fazit

Für den Erwerber eines insolventen Betriebs ändert sich nichts. Er haftet nur für die Anwartschaftsteile, die nach dem Betriebsübergang erdient wurden.

Gordon Teckentrup, LL.M., Leiter Recht | Steuern | Versorgungsträger-Management, Longial
(Er berät Unternehmen zu allen steuer- und arbeitsrechtlichen Fragen der bAV, insbesondere Versorgung von GGF, Einrichtung und Änderung von Versorgungswerken, Unternehmensfusionen und Betriebsübergängen sowie Verwaltung von Versorgungswerken)