07. September 2022

…, was der Unterschied zwischen Rückstellung und Erfüllungsbetrag ist?

§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB: „Verbindlichkeiten sind zu ihrem Erfüllungsbetrag und Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages anzusetzen“. Schon aus der Formulierung im Gesetz lässt sich schließen, dass ein Unterschied zwischen „Rückstellung“ und „Erfüllungsbetrag“ bestehen muss. Aber worin besteht dieser nun genau?


Nach § 249 HGB sind Rückstellungen „für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften“ sowie für „im Geschäftsjahr unterlassene Instandhaltungen“ als auch für „Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden“ zu bilden. Eine Pensionsverpflichtung ist eine ungewisse Verbindlichkeit, weil bei Zusageerteilung unklar ist, ob die Versorgungsleistung überhaupt, ggfs. in welcher Höhe und für wie lange gezahlt werden muss.

Als Erfüllungsbetrag wird der Betrag verstanden, der zur Erfüllung der Verbindlichkeiten aufgebracht werden muss. Bei Geldleistungen ist dies der Rückzahlungsbetrag und bei Sachleistungen der zur Fälligkeit voraussichtlich aufzuwendende Geldbetrag. Aus dem Zusatz „nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ ergibt sich, dass schon zum Bilanzstichtag Sachverhalte zu berücksichtigen sind, die den Rückzahlungsbetrag beeinflussen können. Also z. B. künftige Preis- und Kostensteigerungen, wenn diese sich konkret abzeichnen bzw. ausreichend objektive Hinweise vorliegen, dass diese eintreten werden. Bei Pensionsverpflichtungen wären das z. B. Gehaltsveränderungen und Rentenanpassungen nach § 16 BetrAVG.

Unterschiede in Definition und Betrag
Neben den Unterschieden in den Begriffsdefinitionen gibt es aber auch ganz substanzielle Unterschiede, die dazu führen, dass die Rückstellung – also der in der Bilanz ausgewiesene Betrag – vom Erfüllungsbetrag der Pensionsverpflichtungen abweicht.

  • Bei Einführung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes zum 01.01.2010 wurde den Unternehmen das Wahlrecht eingeräumt, den Unterschiedsbetrag, der sich aus der erstmaligen Anwendung der neuen Bilanzierungsregelungen für Pensionsverpflichtungen ergibt, entweder in einer Summe oder auf bis zu 15 Jahre verteilt den Pensionsrückstellungen zuzuführen (Art. 67 Abs. 1 EGHGB). Hat das Unternehmen von dem Verteilungswahlrecht Gebrauch gemacht, ist die in der Bilanz ausgewiesene Rückstellung geringer als der eigentliche Erfüllungsbetrag. Der noch nicht zugeführte Unterschiedsbetrag ist im Bilanzanhang auszuweisen.
  • Viele Unternehmen haben zur Finanzierung der Pensionsverpflichtungen zweckgebundenes Kapital, z. B. in Form einer Rückdeckungsversicherung oder Investmentfonds, angesammelt. Ist dieses Kapital dem Zugriff aller übrigen Gläubiger zum Beispiel durch eine Verpfändung entzogen, so bezeichnet man es als „Deckungsvermögen“, das nach § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB mit dem Erfüllungsbetrag der Pensionsverpflichtung verrechnet (=saldiert) werden muss. Beispiel: Erfüllungsbetrag 150 TEUR, Deckungsvermögen 100 TEUR = Pensionsrückstellung 50 TEUR (150 TEUR – 100 TEUR). Auch in diesem Fall müssen der Erfüllungsbetrag und der Wert des verrechneten Vermögens im Anhang ausgewiesen werden (§ 285 Nr. 25 HGB).

Neben diesen in der Praxis sehr häufig anzutreffenden Beispielen gibt es weitere Konstellationen, in denen Erfüllungsbetrag und ausgewiesene Rückstellung der Pensionsverpflichtungen voneinander abweichen. Darauf gehen wir hier aber nicht ein, da sie eher selten anzutreffen sind.

Fazit

Der in der Bilanz als „Rückstellung für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen“ ausgewiesene Betrag gibt sehr häufig nicht den „wahren“ Wert, also den Erfüllungsbetrag der Pensionsverpflichtungen wieder. Um sich einen umfassenderen Eindruck von den tatsächlichen Pensionsverpflichtungen eines Unternehmens machen zu können, sollte man wenigstens auch einen Blick in den Bilanzanhang werfen. Hier findet man meist aufschlussreiche Erläuterungen.

Michael Hoppstädter, Geschäftsführer, Longial
(Seit 1993 im Bereich der betrieblichen Altersversorgung aktiv. Als Dozent | Referent für die Hochschule Koblenz und das Campus Institut AG im Studium Betriebswirt bAV (FH), die Deutsche Makler Akademie und weitere mehr tätig.)