23. Februar 2023

Rentenbesteuerung bei verschobenem Versorgungsbeginn: Mehr Brutto, weniger Netto?

BFH-Urteil vom 31.08.2022 – X R 29/20


Wie hoch der steuerpflichtige Anteil einer Rentenleistung ist, die unter den Regelungsbereich des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a des Einkommenssteuergesetzes (EStG) fällt, hängt vom Jahr des Rentenbeginns bzw. vom Alter des Leistungsempfängers bei Rentenbeginn ab. Mit der Frage, welcher Zeitpunkt diesbezüglich maßgeblich ist, wenn der ursprünglich vertraglich vorgesehene Rentenbeginn verschoben wird, hat sich nunmehr erneut der Bundesfinanzhof (BFH) befasst. 

Auf das Jahr des Rentenbeginns kommt es an
Die Festlegung des Rentenbeginns ist - insbesondere bei konventionellen Rentenversicherungen - entscheidend für die Höhe der Besteuerung des Ertragsanteils. Dies betrifft sowohl lebenslange Alters- oder Unfallrenten (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb EStG), als auch abgekürzte Leibrenten z. B. bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb EStG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Einkommenssteuer-Durchführungsverordnung (EStDV)). Gleiches gilt für die Bestimmung der Kohorte bzw. des Besteuerungsanteils bei Rentenleistungen aus einem Basisrentenvertrag (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG). Für die betriebliche Altersversorgung sind die entsprechenden Regelungen von Belang, soweit die betreffenden Leistungen nicht vollständig nachgelagert zu besteuern sind. Es gilt: Je später der Rentenbeginn, umso geringer der Ertragsanteil bzw. der Besteuerungsanteil.

Wenn der Anspruch auf die Auszahlung verschoben wird... 
Der BFH hatte sich in diesem Zusammenhang mit einem Fall zu befassen, bei dem ein Rentner eine Leistung aus einem berufsständischen Versorgungswerk erhielt. Dieses sah als Rentenbeginn die Vollendung des 65. Lebensjahres vor. Auf Antrag konnte der Beginn der Rentenzahlung längstens für die Dauer von 36 Monaten verschoben werden. Hiervon hatte der Rentner Gebrauch gemacht. Er erhielt also eine "verschobene", dafür aber entsprechend höhere Leistung. Die Finanzverwaltung legte den Termin der ersten Rentenzahlung als den für die Besteuerung der Rentenleistung maßgeblichen Rentenbeginn fest. Der Rentner vertrat hingegen die Auffassung, dass aus steuerlicher Sicht der Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres als Rentenbeginn anzusehen sei. Er klagte vor dem Finanzgericht und im Anschluss vor dem BFH.

...verschiebt sich aus steuerlicher Sicht der Rentenbeginn in gleicher Weise...
Die Klage des Rentners vor dem FG blieb erfolglos. Der BFH entschied zudem, dass die Revision unbegründet war. Die Rente, die aus dem berufsständischen Versorgungswerk erbracht wurde, unterlag hier der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG. Der Anteil, welcher der Besteuerung unterlag, habe sich insoweit nach dem "Jahr des Rentenbeginns" im Sinne des § 22 EStG zu richten. In ständiger Rechtsprechung - auch zu älteren Fassungen des Gesetzes - hatte der BFH bereits entschieden, dass als Beginn der Rente der Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruchs und damit die Erfüllung seiner Voraussetzungen anzusehen sei. An dieser Rechtsprechung hält der BFH fest. Dies war nach Überzeugung des BFH hier der beantragte und damit aufgeschobene Termin. 

...wobei ein Anspruch - durch nachträgliche Bewilligung - auch rückwirkend entstehen kann
Dabei könne - wie der BFH weiter ausführt (ohne dass es auf den vorliegenden Fall zutraf) - ein Anspruch auch rückwirkend entstehen, wenn eine Leistung erst nachträglich bewilligt werde. Allein die rechtliche Betrachtung der Anspruchsvoraussetzungen sei insoweit maßgebend. 

Fazit  

BFH und Finanzverwaltung sehen übereinstimmend den Zeitpunkt, ab dem die Leistung tatsächlich bewilligt wird, als "Rentenbeginn" im Sinne des EStG an, welcher für die Ermittlung des steuerpflichtigen Rentenanteils maßgeblich ist. Wird auf Antrag eines Anwärters der Beginn seiner Rente - z. B. zur Erlangung einer höheren Leistung - über das vertragliche Endalter hinaus verschoben, ist auf den entsprechend aufgeschobenen Termin abzustellen. 

i Was ist zu tun?

  • Der Fall zeigt, dass Anwärter die Folgen, welche mit der Ausübung von Auszahlungsoptionen verbunden sind, womöglich erst im Nachhinein erkennen. Dies betrifft insbesondere steuerliche Implikationen. Der Rentner hätte im vorliegenden Fall womöglich auf die Verschiebung des Leistungsbeginns - zur Erlangung einer höheren Versorgungsleistung - verzichtet, falls ihm bewusst gewesen wäre, dass dies mit einer höheren Steuerlast verbunden ist. Um derartige Fehleinschätzungen zu vermeiden, wäre es von Vorteil, wenn die Anwärter bei der Ausübung von Auszahlungsoptionen vorbeugend darauf hingewiesen werden, dass von ihrer Entscheidung nicht nur die Höhe der Bruttoleistung, sondern auch die Höhe der verbleibenden Nettoleistung abhängt.
  • Versorgungsträger, die Leistungen erbringen, welche unter den Regelungsbereich nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG fallen, sollten zudem prüfen, ob die von ihnen nach § 22a EStG an die zentrale Stelle gemeldeten Rentenbezugsmitteilungen mit der vorgenannten Auffassung der Finanzverwaltung und des BFH in Einklang stehen.

Weitere Infos unter: weitblick@longial.de


Michael Gerhard, Aktuar (DAV), ERGO-Versorgungsträgermanagement, Longial