22. Mai 2019

Die bAV-Welt 2019: Und sie bewegt sich doch!

2018 beherrschte das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) die bAV-Welt. Anfang 2019 schien Stillstand einzukehren: Keine Sozialpartnermodelle in Sicht, die Diskussion um ein mögliches Ende der Doppelverbeitragung drohte zu versanden. Doch: Es tut sich was.


Das zeigt die aktuelle Umfrage der Longial unter den 350 Teilnehmern der 20. Handelsblatt Jahrestagung bAV (2. bis 4. April 2019 in Berlin). Politische Themen wie Grundrente, säulenübergreifende Renteninformation und erneut die Doppelverbeitragung rücken in den Vordergrund. Und das BRSG, vor allem das Sozialpartnermodell, bleibt Diskussionsthema: Die Teilnehmer der Umfrage wählten es sogar zum „Wort des Jahres“ der bAV. Michael Hoppstädter, Geschäftsführer der Longial, kommentiert die Umfrageergebnisse.

Weitblick: Die demografische Entwicklung veranlasst die Politik, verstärkt die Rente und die Altersversorgung auf die Agenda zu setzen. Aktuell viel diskutiert: die Pläne für die Grundrente und die Versicherungspflicht für Selbstständige. Im Rahmen der Umfrage wurde nach dem vorrangigen Ziel der Grundrente gefragt. Was war das Ergebnis?

Michael Hoppstädter: Mehr als zwei Drittel der Umfrageteilnehmer sehen als vorrangiges Ziel der Grundrente den Schutz gegen die Altersarmut. Damit geben sie auch einen Fingerzeig in Richtung einer Bedürftigkeitsprüfung. Dagegen stuft nur ein Drittel die Grundrente wie Arbeitsminister Heil ein – als Anerkennung der „Lebensleistung“ in Form von langen Beitrags- beziehungsweise Versicherungszeiten. Der Gesetzesentwurf für eine Versicherungspflicht für Selbstständige wurde erst nach Ende der Tagung veröffentlicht. Aus meiner Sicht ist diese Versicherungspflicht der richtige Schritt. Nun bleibt aber abzuwarten, wie sich das Vorhaben im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens entwickelt, etwa welche Versorgungslösungen zulässig sein werden oder welche bestehenden privaten Vorsorgemaßnahmen zu berücksichtigen sind.

Weitblick: Die Doppelverbeitragung erlebt ein Auf und Ab: Nach der parteiübergreifenden Einigung auf eine Abschaffung stoppte die Frage nach der Finanzierung das weitere Vorgehen. Was ist hier zu erwarten?

Michael Hoppstädter: Auch bei den Umfrageteilnehmern herrscht über die Finanzierung Uneinigkeit. Zwar unterstützen 60 Prozent den Vorschlag aus den Reihen der SPD, dass überwiegend die Krankenkassen die Kosten tragen sollten. Schließlich waren es auch die Krankenkassen, die alleine von der Einführung der Sozialversicherungsbeitragspflicht, insbesondere auf Kapitalleistungen aus Direktversicherungen, profitiert haben. Doch auch die Finanzierung überwiegend aus Steuermitteln, wie von Gesundheitsminister Spahn gefordert, hat ihre Unterstützer: 40 Prozent der Befragten favorisieren diese Lösung. Einig ist sich allerdings die absolute Mehrheit, dass die Doppelverbeitragung sowohl eine Ungerechtigkeit für Betriebsrentner als auch ein Hindernis bei der Verbreitung und Akzeptanz der bAV ist: 83 Prozent sehen in der Abschaffung ein „Must have“. Dieses Ergebnis ist auch bei den politischen Akteuren angekommen und der Wille über alle Parteien hinweg gewachsen, zumindest für die künftigen Betriebsrentner eine Lösung zu finden.

Weitblick: Wie viel Rente kann ich von welcher Seite eigentlich erwarten? Diese Frage können die wenigsten Arbeitnehmer eindeutig beantworten. Eine transparente Übersicht würde hier Abhilfe schaffen und zugleich helfen, den Bedarf an zusätzlicher Altersvorsorge zu ermitteln. Das hat auch die Politik erkannt. Eine „Säulenübergreifende Renteninformation“ soll kommen. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Michael Hoppstädter: Hierzu hat das Bundesarbeitsministerium gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen. Die Zielsetzung ist eine verlässliche, vollständige, vergleichbare und verständliche Übersicht der Altersversorgung. Das dazugehörige Gutachten wurde erstmals auf der Tagung vorgestellt. Es zeigt den schrittweisen Aufbau eines zentralen Online-Portals. Allerdings gestaltet sich die Umsetzung als Herausforderung – vor 2021 ist wohl nicht mit einer Realisierung zu rechnen. Geklärt werden muss auch, was alles auf dem Portal abgebildet werden soll. Diese Frage haben wir den Teilnehmern gestellt. Dabei haben wir bewusst Vermögenswerte benannt, die nicht eindeutig der Altersversorgung zuzuordnen sind. Das Ergebnis: Die Befragten sind beispielsweise bei Immobilienbesitz oder Wertpapierdepots zwiespältig, ob – und wenn wie –diese bei der geplanten Renteninformation berücksichtigt werden sollen. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Frage, welche Institution die Plattform betreiben soll, die die Daten sammelt beziehungsweise bei den Versorgungsträgern einholt. Knapp zwei Drittel der Teilnehmer sehen hier die Deutsche Rentenversicherung Bund als besonders geeignet an.

Weitblick: Wie muss man sich dieses Portal vorstellen? Sammelt der Betreiber die individuellen Daten und führt sie zu einer Renteninformation für jeden Bürger zusammen?

Michael Hoppstädter: Nach den Vorstellungen der Ersteller des Gutachtens wird das Portal keine Daten sammeln und speichern. Der Bürger registriert sich –– und gibt an, bei welchen Einrichtungen, Versorgungsträgern, Versicherern, Arbeitgebern und so weiter Ansprüche auf Versorgungsleistungen bestehen. Dabei ist die Frage noch offen, worüber eine eindeutige Registrierung und Zuordnung erfolgen kann: über die Steueridentifikationsnummer, die Sozialversicherungsnummer oder eine völlig neue Identifikationsnummer. Das Portal fragt die angegebenen Einrichtungen an und führt die Antworten in einer Renteninformation zusammen. Dabei sollen Kapitalleistungen nach einem festen Verfahren in Rentenleistungen umgerechnet werden. Am Ende steht die eine Zahl, die Auskunft über die aktuelle Versorgungssituation beim Renteneintritt gibt.

Dieses Portal wird die Branche, aber auch die Arbeitgeber in den nächsten Monaten und Jahren sehr beschäftigen. Denn die Erwartungshaltung der Ersteller des Gutachtens ist, dass die angesprochene Versorgungseinrichtung innerhalb maximal einer Minute die relevanten Werte an das Portal zurückmeldet. Dazu stelle ich mir nun ein kleineres mittelständisches Unternehmen vor, das seinen Arbeitnehmern eine Direktzusage erteilt hat, deren Verwaltung von der „guten Seele“ in der Buchhaltung über Excel-Listen und Leistungsausweise in Papier erfolgt …
Wir sind zwar noch sehr früh in diesem Projekt, aber es wird, wie das genannte Beispiel aus dem Mittelstand zeigt, für alle Beteiligten erforderlich sein, sich frühzeitig darauf einzustellen und vorzubereiten.

Weitblick:
„Sozialpartnermodell“ wurde von den Umfrageteilnehmern zum „Wort des Jahres“ der bAV gewählt. Gefolgt von „Doppelverbeitragung“, „BRSG“ und „Niedrigzins“. Haben Sie das so erwartet?  

Michael Hoppstädter: Ja, denn die Ergebnisse spiegeln für mich die allgemeine Stimmung rund um die bAV perfekt wider: Gebanntes Warten auf das erste Sozialpartnermodell! Und darüber hinaus Hoffen auf wichtige Entscheidungen zu verschiedenen Themen, die großen Einfluss auf die Akzeptanz der bAV insgesamt haben. Die Wahl zeigt auch, dass das BRSG weiterhin relevant ist. Dennoch steckt mit dem Sozialpartnermodell ausgerechnet das Kernstück des BRSG in der Theorie fest. Trotz vieler Diskussionen gibt es bis heute noch kein aktives Modell, sondern nur Ankündigungen und eine Reihe von Anbietern. Eine knappe Minderheit unserer Umfrage (43 Prozent) spricht sogar schon vom Scheitern des Sozialpartnermodells. Wobei 24 Prozent davon es zwar als gute Idee einstufen, aber der Ansicht sind, dass es im Gesetzgebungsverfahren unnötig verkompliziert wurde und in der vorliegenden Form nun weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften Interesse an dem Modell haben. Die restlichen 19 Prozent sehen die Ursache für das Scheitern darin, dass ein Sozialpartnermodell nicht auf der betrieblichen Ebene eingerichtet werden kann. 57 Prozent der von uns Befragten ist nicht so pessimistisch, sondern vielmehr der Ansicht, dass solche Themen Zeit brauchen und sich das Sozialpartnermodell noch etablieren wird.

Weitblick: Die Ergebnisse der Umfrage sind ja doch recht unterschiedlich. Können Sie dennoch ein Fazit ziehen?

Michael Hoppstädter: Und sie bewegt sich doch … – die bAV-Welt bleibt spannend und brandaktuell. Neue Themen wie eine säulenübergreifende Renteninformation kommen auf die Branche und die Arbeitgeber zu. Das Sozialpartnermodell muss nun laufen lernen. Die Abschaffung der Doppelverbeitragung wäre ein wichtiges Signal der Politik für die bAV und würde für den benötigten Rückenwind bei der Altersversorgung sorgen.

Weitblick: Vielen Dank für das Gespräch.