16. November 2016

Brexit und die zu erwartenden Folgen für Betriebsrentensysteme

Am 23. Juni 2016 wurde in Großbritannien über den Verbleib des Staates in der Europäischen Union (EU) ein Referendum abgehalten. Bekanntlich haben sich die Briten mehrheitlich für ein Ausscheiden aus der EU - den sogenannten „Brexit“ - ausgesprochen.


Natürlich ist es noch viel zu früh, um beurteilen zu können, welche Auswirkungen der Brexit insgesamt haben wird. Noch liegt der EU auch nicht die in Art. 50 Abs. 2 des EU-Vertrages geforderte entsprechende Absichtserklärung der britischen Regierung vor. Wie zu lesen war, plant die britische Regierung diesen formalen Schritt erst für März 2017. Daran schließen sich die Verhandlungen über das Austrittsabkommen an, mit dem die Einzelheiten des EU-Austritts und die Details der künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU geregelt werden. Für diese Verhandlungen ist ein Zeitraum von zwei Jahren vorgesehen, wobei der Art. 50 Abs. 3 des EU-Vertrages auch die Möglichkeit vorsieht, diese Frist zu verlängern. Damit ist unklar, wann die Details des Austritts bekannt sein werden. Und die Folgen und Auswirkungen zeigen sich dann sicherlich in vielen Einzelfällen und Details erst in den Jahren nach Inkrafttreten des Austrittsabkommens.

Auch auf betriebliche Versorgungssysteme und -leistungen wird der Brexit Auswirkungen haben, insbesondere für die Unternehmen, die in Großbritannien aktiv sind.

Betriebliche Altersversorgung
Wie alle Mitgliedsstaaten der EU haben auch die Briten zahlreiche EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzen müssen, soweit das bislang bestehende nationale Recht die Anforderungen der EU-Richtlinie nicht bereits erfüllt oder die Bürger gar besserstellt. Im Bereich der bAV war zuletzt die EU-Mobilitätsrichtlinie umzusetzen.
Auch nach dem Brexit bleiben umgesetzte EU-Richtlinien daher nationales britisches Recht. Die künftige britische Regierung muss sich also in zahlreichen Fällen entscheiden, ob die umgesetzten EU-Richtlinien wieder aufgehoben werden sollen.
Den betroffenen Arbeitnehmern und Unternehmen steht in dieser Hinsicht eine Zeit der Unsicherheit bevor, welche Rechtslage denn zum Beispiel zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Unternehmen vorherrscht.

Wie John Hunt, Senior Global Benefits Consultant und Head of Operations bei Capita Employee Benefits Ltd., unser britischer Partner im International Benefits Network (IBN), berichtet, ist bereits jetzt, wenige Wochen nach dem Votum der Briten, eine große Zurückhaltung der Unternehmen bei der Neueinrichtung oder Umgestaltung von Versorgungsplänen zu bemerken. Das betrifft insbesondere Unternehmen, die einen hohen Anteil ihrer Produkte und Dienstleistungen innerhalb der EU verkaufen. Und auch die Arbeitnehmer sind verunsichert und verschieben Entscheidungen zum Auf- oder Ausbau ihrer Altersversorgung bis  Klarheit über die Folgen des Brexit herrscht.

Finanzmarkt
Nach dem Referendum gab es bereits deutliche Ausschläge an den Finanzmärkten, sowohl bei den Aktien als auch bei den Währungen. Der britische Aktienindex FTSE 100 sank zwar am Tag nach dem Referendum um fast 6 Prozent auf 5982 Punkte, hat aber seitdem wieder deutlich zugelegt und steht aktuell bei ca. 7.000 Punkten.
Das britische Pfund hatte bereits vor dem Referendum gegenüber dem Euro deutlich an Wert verloren, seit dem Referendum allerdings ca. 10 Prozent gegenüber dem Euro an Wert gewonnen.

Der Ausgang der Austrittsverhandlungen ist wie gesagt sehr ungewiss. Daher ist in deren Verlauf mit weiteren stärkeren Ausschlägen an den Finanzmärkten zu rechnen.

Versorgungszusagen sind in Großbritannien in aller Regel beitragsorientiert ausgestaltet. Die Höhe der Versorgungsleistung ergibt sich neben dem Beitrag meist auch aus der Wertentwicklung der Kapitalanlage, in die die „Beiträge“ des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers investiert werden. Da Kapitalanlagestrategien für Pensionspläne in der Regel langfristig ausgerichtet sind, stellen Schwankungen an den Finanzmärkten ein übliches „Grundrauschen“ dar. Volatilität an den Finanzmärkten ist also nichts Neues und bietet Asset Managern eine plausible Begründung, die Kapitalanlageentscheidungen und Investments zu überprüfen.

„Klare und regelmäßige Kommunikation mit allen Beteiligten über die Kapitalanlage und die strategische Asset Allocation ist das Gebot der Stunde und wird noch lange Zeit besonders wichtig bleiben“, so John Hunt.

Arbeitsmarkt und Beschäftigung
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist genauso schwer vorhersehbar wie die Entwicklung an den Kapitalmärkten. Je nachdem aus welcher Richtung Prognosen gemacht werden, ist sowohl von einem Boom der britischen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes als auch von einer Rezession und steigender Arbeitslosigkeit zu lesen.

So oder so – ein Ziel der Brexit-Befürworter war die Abschottung des britischen Arbeitsmarktes vor europäischen Arbeitnehmern. Es wird also besonders interessant zu beobachten, wie die europäische Niederlassungsfreiheit im Rahmen der Austrittsverhandlungen geregelt wird. Müssen EU-Arbeitnehmer Großbritannien verlassen? Benötigen sie trotz des bestehenden Arbeitsverhältnisses künftig ein Visum oder eine besondere Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung? Wie werden künftig Arbeitsverhältnisse mit Nicht-Briten geregelt werden? Gelten Steuer- und Sozialversicherungsabkommen weiter oder sind diese mit jedem einzelnen Staat neu auszuhandeln?

Brexit-Befürworter haben auch die „Regelungswut“ und „Bevormundung aus Brüssel“, also der EU, ins Feld geführt. Nach der Entscheidung sind auch hier zahlreiche umgesetzte EU-Richtlinien daraufhin zu prüfen, ob nationales britisches Recht zu weniger komplexeren Vorschriften und Bürokratie führt. Für Arbeitnehmer wird es aber wichtig sein zu beobachten, ob damit EU-Standards für Arbeitnehmerrechte geschwächt werden.

Und trotz aller Kritik an „Regelungswut“ oder „Bevormundung aus Brüssel“: Die aktuellen Regelungen sind wie in allen Mitgliedsstaaten tief in den Geschäftspraktiken der britischen Unternehmen verankert. Jede Änderung wird daher in der Regel zunächst zu Umstellungen und Mehraufwand führen.

Fazit:

Die Details der Austrittsverhandlungen sind natürlich noch nicht absehbar – aber es ist klar, dass sich gravierende Änderungen in allen Fragen von Arbeitsplatz, sozialer Sicherheit und Kapitalmarkt ergeben werden. Wir werden auch diese Entwicklung sehr genau beobachten. Und über John Hunt und sein Team bei Capita Employee Benefits Ltd. haben wir Zugang zu Informationen aus erster Hand. Damit können wir unsere Kunden auch in den Fragen, die sich durch den Brexit ergeben, schnell und umfänglich informieren und beraten.

John Hunt, Senior Global Benefits Consultant und Head of Operations, Capita Employee Benefits Ltd. London
Michael Hoppstädter, Leiter Consulting, Longial