06. Dezember 2023

Neues zum Rechnungszins in der Handels- und Steuerbilanz: Ein Update

Durch Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) im Jahr 2009 wurde die handelsbilanzielle Bewertung von Pensionsrückstellungen grundlegend geändert. Zu den Neuerungen zählte unter anderem, dass für die Bewertung der Sieben-Jahres-Durchschnittszins zu verwenden ist.

Um die wirtschaftlichen Belastungen des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes und der damit steigenden Pensionsrückstellungen abzumildern, hat die Bundesregierung im Jahr 2016 den Zeitrahmen für die Ermittlung des durchschnittlichen Marktzinses zur Bewertung von Pensionsverpflichtungen von sieben auf zehn Jahre angehoben. 

Seit dem Jahr 2022 hat sich die Marktsituation nun deutlich gewandelt. Anstelle einer verschwindend geringen Inflation haben wir nun Inflationsraten von teilweise mehr als zehn Prozent im Vergleich zu den Vorjahresmonaten. Aufgrund des kürzeren betrachteten Zeitraumes reagiert der Sieben-Jahres-Durchschnittszins wesentlich sensitiver gegenüber den hohen Marktzinsen als der Zehn-Jahres-Durchschnittszins. In unseren aktuellen Prognosen gehen wir daher davon aus, dass der Sieben-Jahres-Zins schon Mitte 2024 oberhalb des Zehn-Jahres-Zinses liegen wird. Dabei haben wir eine gleichbleibende Renditesituation an den Finanzmärkten unterstellt. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass für Bilanzstichtage ab dem 31.12.2024 die oben beschriebene Ausschüttungssperre entfällt, da die Pensionsrückstellung unter Berücksichtigung des Sieben-Jahres-Zinses erstmalig größer als bei einer Berechnung mit dem Zehn-Jahres-Zins wäre. 

Vor diesem Hintergrund hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) einen erneuten Versuch unternommen, eine Diskussion mit dem Bundesjustizministerium bezüglich einer Änderung des Verfahrens zur Ermittlung des Rechnungszinses zu starten. Im Schreiben des IDW vom 6. September wird vorgeschlagen, anstelle eines Zehn-Jahres-Durchschnittszinses nach § 253 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) künftig einen konstanten Zins zu verwenden. Dies soll die oftmals erheblichen zinsinduzierten Schwankungen der Pensionsrückstellungen reduzieren. Grundsätzlich soll der fixe Diskontierungssatz dabei ein langfristiges Marktzinsniveau widerspiegeln und in größeren Zeitabständen überprüft und dann gegebenenfalls angepasst werden. Der Zinssatz könnte nach Vorschlag des IDW beispielsweise 3,3 Prozent betragen. Dies entspricht der Ultimate Forward Rate der risikolosen Zinsstrukturkurve der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA).

Ob die Bundesregierung hinsichtlich der geschilderten Aussichten plant, zukünftig wieder auf eine Durchschnittsbildung über sieben Jahre zurückzukehren oder auf den Vorschlag des IDW zur Einführung eines konstanten Rechnungszinses eingeht, ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht bekannt.

...und endlich (k)eine Entscheidung in Sachen des Rechnungszinses nach § 6a Einkommensteuergesetz (EStG)

Zur Erinnerung: Der § 6a EstG-Rechnungszins von sechs Prozent ist seit Jahrzehnten unverändert und liegt deutlich über dem Marktzins. Das Finanzgericht (FG) Köln sah in dieser Regelung einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – siehe Urteil vom 12.10.2017 – 10 K 977/17. Die Frage, ob zur Ermittlung einer Pensionsrückstellung nach § 6a EstG unverändert ein Rechnungszinsfuß von sechs Prozent zulässig ist, hatte es dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorgelegt (Az. 2 BvL 22/17). Die Entscheidung des BVerfG zu dieser Vorlage ließ lange sich warten (siehe Ausgabe 02/2023 des Weitblicks). 

Die Vorlage des FG hat das BVerfG als unzulässig abgewiesen…
Nun liegt eine „Entscheidung“ vor: Das BVerfG hat die Vorlage mit Beschluss vom 28.7.2023 für unzulässig erklärt. Die Vorlage des FG genügt nach Ansicht des Gerichts nicht den Anforderungen, welche die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG erfordert. Und dies aus zwei Gründen:

  • Die Ansicht des FG, wonach der Rechnungszinsfuß von sechs Prozent zu einer „Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem“ führe, hielt das BVerfG für nicht ausreichend begründet. Dass – wie das FG ausführt – Pensionsrückstellungen gegenüber anderweitigem Aufwand ungleich behandelt würden, soweit dieser entsprechend der tatsächlichen wirtschaftlichen Verursachung voll abzugsfähig sei, werde vom FG nicht hinreichend dargetan. Die Meinung des FG, wonach es zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf das im gesamten übrigen Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip komme, bliebe ohne Begründung. Dabei habe sich das FG auch nicht ausreichend mit früheren Entscheidungen des BVerG auseinandersetzt, die im Zusammenhang mit der Bildung von Jubiläumsrückstellungen ergangen waren. Dabei hatte das Gericht unter anderem ausgeführt, dass die Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips für die Bildung von Rückstellungen in der Steuerbilanz nicht als eine grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers über eine steuergerechte Lastenverteilung zu deuten sei. Im Übrigen sieht das BVerfG gute Gründe, um zu bezweifeln, dass eine aktuelle bilanzielle Gewinnminderung tatsächlich mit der aktuellen finanziellen Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft einhergehe.
  • Zum anderen sieht das BVerfG auch eine „Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem“ nicht ausreichend begründet. Soweit der Vorlagebericht diesbezüglich den Vorwurf der Willkür erhebe, sei dies nicht nachvollziehbar. Dass sich heute kein einleuchtender Grund (mehr) für den Rechnungszinsfuß von sechs Prozent fände, sei allein als Begründung jedenfalls nicht ausreichend. Auch würde das FG in seiner Vorlage den Bezugspunkt für eine realitätsgerechte Typisierung eines Marktzinses nicht den Anforderungen entsprechend darlegen. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Rechnungszinsfuß eine reale Marktgröße abbilden müsse, wäre die Vorlage des FG nach Ansicht des BVerfG daher nicht ausreichend begründet.

…und damit in der Sache letztlich (doch) nicht entschieden
Im Kern hat das BVerfG damit nicht über die Verfassungsmäßigkeit des EStG-Rechnungszins von sechs Prozent für Pensionsrückstellungen geurteilt. Lediglich die Beschlussvorlage des FG wurde als unzulässig abgewiesen. Wie es nun diesbezüglich weitergehen könnte, ist derzeit noch nicht abzusehen:

Das FG könnte versuchen, eine erneute – ergänzte – Vorlage beim BVerfG einzureichen, welche dann den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt. Dies halten Beobachter aber eher für unwahrscheinlich. Ansonsten käme das FG nicht umhin, auf Basis des geltenden § 6a EstG zu entscheiden und die aktuelle Klage als unbegründet abzuweisen. Für diesen Fall hätte es dann festzulegen, ob die Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen werden soll. Es bliebe im Anschluss abzuwarten, ob von der Revision Gebrauch gemacht und wie diese verlaufen würde.

Fazit 

Der Beschluss des BVerfG war in dieser Form nicht erwartet worden. Mit einigem Erstaunen nehmen die Beobachter auch zur Kenntnis, dass das BVerfG sich beinahe fünf Jahre Zeit gelassen hat, um dann die Vorlage des FG mit deutlichen Worten „abzukanzeln“. Für die Arbeitgeber, die unter dem EstG-Rechnungszins von sechs Prozent leiden, ist damit nichts gewonnen. Ob und wie die Frage der Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Rechnungszinses noch einmal beim höchsten deutschen Gericht platziert werden wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Die Aufmerksamkeit wird sich daher nunmehr wieder auf die Politik richten. Diese hat aber auch schon in der Vergangenheit wenig Motivation gezeigt, sich des Themas anzunehmen. Die Situation dürfte also zunächst unbefriedigend bleiben.

Richard Breese, Aktuar (DAV), Sachverständiger IVS, Leiter Aktuarielle Services 1, Longial
Michael Gerhard, Aktuar (DAV), Recht | Steuern & VTM, Longial