01. Dezember 2021

Keine gesamtschuldnerische Haftung des Arbeitgebers mit der Pensionskasse sowie Fortführung der Rechtsprechung zum Ausscheiden bei Berufsunfähigkeit

BAG-Urteil vom 13.7.2021 – 3 AZR 298/20: Im vorliegenden Urteil ging es um die im Betriebsrentengesetz angeordnete Einstandspflicht des Arbeitgebers und der Gesamtschuld zwischen dem externen Versorgungsträger und dem Arbeitgeber.


Der Fall
Dem Kläger waren von seinem Arbeitgeber über eine Pensionskasse Leistungen der bAV zugesagt worden. Dabei war geregelt, dass diese Leistungen die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses voraussetzen. Der Kläger erhielt von der Deutsche Rentenversicherung Bund befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.4.2018 bis zum 31.8.2020. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 28.2.2019 beendet. Ab diesem Zeitpunkt gewährte der Arbeitgeber Leistungen. Der Kläger begehrt auch für die Zeit vor der Beendigung die betriebliche Berufsunfähigkeitsrente. Er hat deshalb den Arbeitgeber und die Pensionskasse zusammen verklagt.

Entscheidung: Keine gesamtschuldnerische Haftung 
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zunächst entschieden, dass eine gesamtschuldnerische Haftung des Arbeitgebers und der Pensionskasse nicht in Betracht kommt. Eine solche Haftung ergibt sich insbesondere nicht aus der Einstandspflicht des § 1 Abs. 1, S. 3 Betriebsrentengesetz. Diese Regelung bestimmt keine Gesamtschuld zwischen dem externen Versorgungsträger einerseits und dem die Versorgungszusage erteilenden Arbeitgeber andererseits. Vielmehr folgt aus ihr lediglich dessen Pflicht, für die Erfüllung der Versorgungszusage einzustehen. Nur dann, wenn eine Lücke entsteht, haftet der Arbeitgeber subsidiär. Diese Einstandspflicht stellt sicher, dass bei Schwierigkeiten im Durchführungsweg gleichwohl Leistungen erbracht werden, die der Versorgungszusage entsprechen. 

Das BAG hat dann im Weiteren fortentwickelte Aussagen zum Ausscheiden bei Berufsunfähigkeit (BU) in Versorgungsordnungen getroffen. 

Wesentliches Merkmal der Invaliditätsversorgung
Nach Auffassung des BAG ist das Ausscheiden der versorgungsberechtigten Person aus dem Arbeitsverhältnis kein prägendes Merkmal der Invaliditätsversorgung. Vielmehr kennzeichnen die Entgeltersatzfunktion und damit die Absicherung eines Einkommensverlustes die Invaliditätsversorgung. Ein Einkommensverlust entsteht mit Wegfall des Anspruchs auf Arbeitsentgelt unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Diese Vertragstypik wird eingeschränkt, wenn auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung gilt. Zwar ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei darin, die Voraussetzungen der Invaliditätsversorgung selbst zu bestimmen. Er muss sich aber an die sogenannte Vertragstypik halten. 

Der vollständige Ausschluss ist unwirksam
Nach Abwägung der Interessen des Versorgungsberechtigten und des Arbeitgebers führt eine Klausel, die die Gewährung einer betrieblichen Invaliditätsrente vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vollständig ausschließt, zu einer unangemessenen Benachteiligung.

Aufseiten der Arbeitgeber besteht zunächst das berechtigte Interesse, Doppelleistungen zu vermeiden. Auch im ruhenden Arbeitsverhältnis können Ansprüche der Arbeitnehmer begründet werden, wie etwa der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Dieser entsteht auch in Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht und der Arbeitnehmer eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber, der die Versorgung zusagt, ein legitimes Interesse an Planungssicherheit hinsichtlich des Arbeitsplatzes eines Arbeitnehmers hat, an den Versorgungsleistungen erbracht werden. Bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis kann der Versorgungsberechtigte nach Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit vom Arbeitgeber verlangen, wieder beschäftigt zu werden.

Aufseiten des Versorgungsberechtigten ist das Interesse am Erhalt seines Arbeitsplatzes zu berücksichtigen. Der Versorgungsberechtigte gerät in den Zwang, zunächst sein Arbeitsverhältnis aufzugeben, um sich dadurch überhaupt die Chance auf eine Invaliditätsversorgung zu eröffnen. Dies führt letztlich zu einem unzumutbaren Druck auf den Versorgungsberechtigten und zum Überwiegen seiner Interessen. Die Klausel ist damit unwirksam. 

Ergänzende Vertragsauslegung geboten
Die nun entstandene Lücke in der Versorgungszusage ist aber nach Auffassung des BAG durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Weil auch der Arbeitgeber bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis unzumutbar belastet wird und auch in der Vergangenheit das BAG die Voraussetzung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als rechtens anerkannt hatte, hat es hier folgendermaßen entschieden: Der Vertrag der Parteien ist ergänzend dahingehend auszulegen, dass auch für einen Zeitraum vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente gezahlt werden muss. Diese rückwirkende Zahlung soll Verzögerungen bei der Entscheidung des Arbeitgebers über den Antrag auf Invalidenrente abdecken, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat. Wenn die Entscheidung des Arbeitgebers länger als zwei Monate ab Antragstellung des Versorgungsberechtigten dauert, soll ab Ablauf dieser zwei Monate die rückwirkende Zahlung der Invalidenrente beginnen, auch wenn das Arbeitsverhältnis erst später beendet wird. Nur eine solche Regelung trägt den typischerweise vorhandenen Interessen der Beteiligten ausreichend Rechnung. 

Da diese Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben waren, kamen keine weiteren Zahlungen nach den ergänzt ausgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Betracht.

Fazit

Alle Klauseln in Versorgungsordnungen, die für den Bezug einer Invalidenrente an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, sind je nach Einzelfall auszulegen. Der gänzliche Ausschluss von Invalidenleistungen ist jedenfalls nicht zulässig. In neuen Versorgungsordnungen dürfte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für den Bezug von Invaliditätsleistungen nicht mehr als Voraussetzung vereinbar sein.
 

i Was ist zu tun?

  • Bei der Erstellung oder auch Änderung von Versorgungsordnungen sollten bei BU-Leistungen Formulierungen verwendet werden, die den beiderseitigen Interessen von Versorgungsberechtigten und Arbeitgebern gerecht werden. Das bedeutet, einerseits auszuschließen, dass es zu Doppelzahlungen kommt, und andererseits zu gewährleisten, dass überhaupt Zahlungen stattfinden.

Weitere Infos unter: weitblick@longial.de 


Anja Sprick, Justiziarin, Recht | Steuern, Longial
(Expertin für alle steuer- und arbeitsrechtlichen Fragen der bAV, insbesondere zu Auswirkungen bei Betriebsübergängen und Unternehmensverkäufen, der Versorgung von GGF, dem Geltungsbereich des BetrAVG).