25. September 2025
Ist ein fiktiver Abzug der Kirchensteuer trotz Austritt zulässig?
Während Arbeitgeber sich aus praktischen Erwägungen möglichst schlanke und entbürokratisierte Verwaltungsprozesse wünschen, legen Arbeitnehmer primär Wert auf die Berücksichtigung ihrer individuellen Situation. Das gilt insbesondere dann, wenn der eigene Geldbeutel betroffen ist. Insofern zeigen Arbeitnehmer erwartbar wenig Verständnis, wenn ihr Arbeitgeber im Rahmen des pauschalierten Ansatzes Kirchensteuern berücksichtigt, obwohl sie schon viele Jahre nicht mehr Mitglied der Kirche sind. In einem solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden, ob ein fiktiver Abzug der Kirchensteuer in einem solchen Fall zulässig ist.
Der Fall:
Der ehemalige Arbeitnehmer war mit der Höhe der seitens seines ehemaligen Arbeitgebers berechneten Betriebsrente nicht einverstanden und machte für den Zeitraum vom 1. April 2016 bis zum 28. Februar 2023 die Zahlung einer weiteren Zusatzversorgung in Höhe von 70,91 Euro monatlich gerichtlich geltend. Die Versorgungsrechte des ehemaligen Arbeitnehmers richteten sich hierbei nach einer Gesamtbetriebsvereinbarung über Zusatzversorgungsleistungen: Hiernach hatte der ehemalige Arbeitnehmer ab dem 1. April 2016 Anspruch auf Zahlung einer Zusatzversorgung gegen seinen früheren Arbeitgeber, weil er ab diesem Zeitpunkt eine vorzeitige Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezog.
Die Gesamtbetriebsvereinbarung über Zusatzversorgungsleistungen sah vor, dass ein solcher Anspruch besteht, falls durch die Ruhestandsbezüge nicht mehr als 75 Prozent des versorgungsfähigen Einkommens, höchstens jedoch 100 Prozent des Nettoeinkommens erreicht werden. Dazu zählten die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die Leistungen des Beamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. und sonstige Versorgungsleistungen, die nicht überwiegend auf Beiträgen des Arbeitnehmers beruhen.
Betriebsvereinbarung regelt fiktive Netto-Berechnung
Als anrechenbare Rente gilt die jeweilige Bruttorente vor Abzug etwaiger Steuern, Abgaben und Beiträge, jedoch ohne etwaige Zuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag der Rentner. Ferner wurde in der fraglichen Gesamtbetriebsvereinbarung geregelt, dass vom zuletzt bezogenen regelmäßigen monatlichen Bruttoeinkommen die Steuern einheitlich nach der Steuerklasse III/0 der Lohnsteuertabelle (Monatslohn), die Arbeitnehmeranteile zum Renten- und Arbeitslosen- sowie zum Krankenversicherungsbeitrag nach dem vom Bundesarbeitsminister veröffentlichten durchschnittlichen Beitragssatz der Ortskrankenkassen abgezogen werden. Die Berechnung des Nettoeinkommens erfolgte somit fiktiv, was zuletzt auch, abgesehen von der Berücksichtigung der Kirchensteuer bei der Ermittlung des Nettoeinkommens, zwischen den Parteien unstreitig war.
Der ehemalige Arbeitnehmer vertrat nun die Ansicht, dass bei der Berechnung der Nettogesamtversorgungsobergrenze ein Abzug der Kirchensteuer zu unterbleiben habe – jedenfalls bei Versorgungsempfängern, die nicht Mitglied der Kirche seien, wie er selbst. Aufgrund der dadurch erhöhten Nettobegrenzung steige sein Zusatzversorgungsanspruch um monatlich 70,91 Euro. Er argumentierte, die Berechnung des fiktiven Nettoeinkommens unter Berücksichtigung der Kirchensteuer führe darüber hinaus zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung.
Das Urteil:
Aus Sicht des BAG war die Regelung des ehemaligen Arbeitgebers zur Berechnung des fiktiven Nettoentgelts wirksam und daher nicht zu beanstanden. Die negative Religionsfreiheit der betroffenen Versorgungsberechtigten – also die Möglichkeit, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören – sei durch die fiktive Berücksichtigung der Kirchensteuer als pauschaler Abzugsposten bei der Berechnung der Nettolohnobergrenze nicht beeinträchtigt. Die Pauschalierung der Berechnung der Nettolohnobergrenze unter Abzug auch fiktiver Kirchensteuer diene vielmehr der Verwaltungsvereinfachung und sei nicht zu beanstanden. Entsprechend habe der ehemalige Arbeitgeber einen pauschalierenden und typisierenden Ansatz wählen dürfen und nicht auf die konkreten Verhältnisse des einzelnen Versorgungsberechtigten abstellen müssen. Der Abzug von 72,36 Euro Kirchensteuer zur Ermittlung des fiktiven Nettoeinkommens sei bei der Berechnung der Zusatzversorgungsansprüche des Klägers zu Recht erfolgt. Vergleichbar sei auch der Krankenversicherungsbeitrag nach dem durchschnittlichen Beitragssatz der Ortskrankenkassen – und damit ebenfalls unabhängig von den persönlichen Umständen in Abzug zu bringen, und das selbst in Fällen, in denen gar keine Versicherungspflicht bestand. Eine solche Regelung genüge dem Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit und sei mit Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art.14 Abs.1 GG vereinbar. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege daher nicht vor.
Fazit
Im Rahmen seiner Abwägung hat das BAG den Interessen der Arbeitgeber an schlanken und entbürokratisierten Verwaltungsprozessen den Vorrang vor den Interessen der Arbeitnehmer eingeräumt, die ihren jeweiligen konkreten Einzelfall berücksichtigt wissen wollen. Will man den bisherigen Lebensstandard für die Betriebsrentner im Rahmen einer pauschalierenden Betrachtung absichern, sind auch diejenigen Abzüge, die einen typischen Arbeitnehmer treffen, für die Berechnung des begrenzenden Nettoeinkommens heranzuziehen. Zwar wird das Versorgungsziel desto genauer erreicht, je mehr bei den gesetzlichen Abgaben auf den Einzelfall abgestellt wird. Jedoch ist der hiermit verbundene Verwaltungsaufwand umso größer, je mehr die individuellen Verhältnisse berücksichtigt werden. Die Festlegung der vom Einzelfall losgelösten pauschalierenden Berechnung des fiktiven Nettoeinkommens soll eben den Verwaltungsaufwand für die Steuerpflicht begrenzen und damit zur Praktikabilität der Regelung beitragen, indem sie von der Abklärung individueller Umstände absieht.
Dirk Murski, Syndikusrechtsanwalt, Recht | Steuern, Longial