24. Mai 2023

Günstigere Lieferung von Gas und Strom auch für Rentnerin

BAG-Urteil vom 15.11.2022 – 3 AZR 457/21


Der Fall
Die heutige Rentnerin und ihre ehemalige Arbeitgeberin streiten über die Verpflichtung, der Rentnerin mit dem Beginn des Ruhestands einen Rabatt auf die Kosten der Gas- und Stromlieferungen der Arbeitgeberin (Energiekostenrabatt) in Höhe von 25 Prozent statt 15 Prozent zu gewähren. Der Arbeitsvertrag nahm Bezug auf verschiedene Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung. Unter anderem war dort geregelt, dass die Bezugsberechtigten 25 Prozent Rabatt auf die allgemeinen Tarife für die Versorgung mit elektrischer Energie und Gas erhalten. Ferner konnte der Anspruch auf Werkstarif – auch mit Wirkung gegenüber ehemaligen Betriebsangehörigen – gekündigt werden.
Am 24.9.2007 beschloss der Vorstand in einer Verfügung, dass künftig neue Mitarbeiter, die nach dem 1.10.2007 angestellt würden, sowie alle Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis nach dem 30.9.2007 endet, und die anschließend in den Ruhestand wechseln, Energiekostenrabatte in Höhe von 15 Prozent erhalten. Seit April 2008 befindet sich die ehemalige Arbeitnehmerin im Ruhestand. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährte ihr die Arbeitgeberin einen Energiekostenrabatt in Höhe von 25 Prozent, seit dem Rentenbeginn nur noch in Höhe von 15 Prozent. Dagegen wehrt sie sich.

Die Entscheidung 
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab der Rentnerin recht. Es musste ihr weiterhin der Energierabatt in Höhe von 25 Prozent gewährt werden. Die Kürzung war nicht rechtmäßig.

Auslegung der tariflichen Regelung hinsichtlich der Fortführung auch für Rentner 
Das BAG stellte zunächst fest, dass der ursprüngliche Arbeitsvertrag auf die verschiedenen Tarifverträge und damit auch auf den fraglichen Tarifvertrag Sonderregelungen (TV-SR) Bezug nimmt. Die darin enthaltene Tarifbestimmung ist nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck dahingehend auszulegen, dass sie den von der Arbeitgeberin gewährten Energiekostenrabatt als „gewährte betriebliche Sozialleistung“ in diesem Sinne erfasst. Damit wird der Anspruch aus einem Tarifvertrag für zum Stichtag bestehende Arbeitsverhältnisse auch für die Betriebsrentner fortgeführt. 

Da der Energiekostenrabatt von der Arbeitgeberin nicht nur während des aktiven Arbeitsverhältnisses, sondern auch im Ruhestand gewährt wurde, ist der Rabatt den so genannten heutigen Arbeitnehmern auch dann zu gewähren, wenn sie nach dem Stichtag in den Ruhestand treten.

Kündigungsmöglichkeit durch Verfügung des Vorstands nicht Inhalt der tariflichen Regelung
Die Arbeitgeberin kann sich auch nicht auf die Möglichkeit einer Kündigung unter Wahrung einer Frist von drei Monaten zum Jahresende berufen. Denn eine solche Kündigung hatte die Arbeitgeberin gar nicht geltend gemacht. Zudem ermöglichen weder Wortlaut oder Systematik, noch Sinn und Zweck der Regelung eine Auslegung in dem Sinne der Arbeitgeberin, dass der Kündigungsvorbehalt, den der Vorstand in seiner Verfügung aufgenommen hatte, Bestandteil der tariflichen Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR geworden wäre. Vielmehr spricht der TV-SR von einer „materiellen Sicherung“ dieser Rechte und auch in der Präambel wird von der „Sicherung der sozialen Rechte“ gesprochen.

Systematisch ist zudem § 5 Abs. 2 Satz 2 TV-SR zu beachten, der Ausnahmen von dem Anspruch abschließend zulässt. Dort ist jedoch lediglich für Neueintritte nach dem Stichtag eine Änderungsmöglichkeit durch eine betriebliche Neuregelung vorgesehen.

Tarifliche Bindung spricht gegen einseitige Änderung durch den Vorstand
Gegen die Möglichkeit, in die Tarifbestimmung eine einseitige Abänderbarkeit von nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR fortzuführenden betrieblichen Sozialleistungen hineinzulesen, sprechen zudem tarif-rechtliche Erwägungen. Gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern galt die Bestimmung gemäß § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) unmittelbar und zwingend. Abweichende Abmachungen von nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltenden Rechtsnormen eines Tarifvertrags sind nach § 4 Abs. 3 TVG nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Sollen Regelungen Ansprüche ausschließen beziehungsweise einschränken, muss dies hinreichend im Tarifvertrag erkennbar und eindeutig beschrieben sein. Dies gilt auch und gerade für Bestimmungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Der Arbeitnehmer muss klar erkennen können, in welcher Höhe er oder seine Angehörigen im Versorgungsfall Leistungen zu erwarten haben, um etwaige Versorgungslücken schließen zu können. 

Fazit: 

Für die Wirksamkeit von tariflichen Regelungen reicht eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag. Änderungen können nicht einseitig vom Vorstand der Arbeitgeberin verfügt werden, sondern sind nur zulässig, wenn sie im Tarifvertrag selbst erkennbar und eindeutig beschrieben werden. Wenn das wie hier nicht der Fall ist, sind derartige Verfügungen des Vorstands unwirksam.

Anja Sprick, Justiziarin, Recht | Steuern, Longial