25. Mai 2022

Firmenrente wegen Flugdienstuntauglichkeit als beitragspflichtiger Versorgungsbezug nach § 229 SGB V?

BSG-Urteil vom 1.2.2022 – B 12 KR 40/19 R I LSG Berlin-Brandenburg-Urteil vom 14.11.2019 – L 1 KR 16/18: Das BSG entschied, ob Betriebsrenten wegen Flugdienstunfähigkeit als Versorgungsbezug beitragspflichtig oder als Übergangsleistung wegen Verlust des Arbeitsplatzes beitragsfrei sind.


Der Fall
Die Klägerin war bis zum 30.6.2015 als Flugbegleiterin beschäftigt. Wegen dauerhafter Flugdienstunfähigkeit bezieht sie aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung seit dem 1.7.2015 eine Firmenrente in Höhe von monatlich ca. 1.600 Euro. Zudem erhielt sie bis zum 30.9.2016 Arbeitslosengeld. Sie war im Oktober 2016 freiwillig krankenversichert und nahm im Anschluss daran an einer von der gesetzlichen Rentenversicherung gewährten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme teil. Die beklagte Krankenkasse erhob auf die Firmenrente Beiträge und lehnte schließlich den Antrag der Klägerin ab, ihr die Beiträge zu erstatten, da es sich nach ihrer Auffassung bei der Firmenrente wegen dauernder Flugdienstuntauglichkeit als Invaliditätsleistung um einen beitragspflichtigen Versorgungsbezug handelt.

Beurteilung des Sachverhalts durch die Vorinstanzen
Das Sozialgericht hat die beklagte Krankenkasse unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zur vollständigen Beitragsrückerstattung verurteilt. Ähnlich sah es das Landessozialgericht (LSG), welches die Klage nur hinsichtlich des Monats der freiwilligen Versicherung der Klägerin abgewiesen und im Übrigen die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass die Firmenrente während des Bezugs von Arbeitslosengeld sowie der Weiterbildungsmaßnahme beitragsfrei bleibe, weil es sich nicht um einen Versorgungsbezug im Sinne von § 229 Absatz 1 Nr.5 SGB V handelt. Weiter begründete es seine Entscheidung damit, dass die Firmenrente weder der Versorgung im Alter diene noch sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit gezahlt werde. Vielmehr biete sie einen Ausgleich für den Verlust des fliegerischen Arbeitsplatzes, weil sie allein an die fehlende Fähigkeit zur Ausübung der letzten beruflichen Tätigkeit anknüpft. Maßstab einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente sei demgegenüber der allgemeine Arbeitsmarkt. Die Firmenrente sei auch nicht mit einer Rente wegen Berufsunfähigkeit vergleichbar, für die das Restleistungsvermögen im Verhältnis zu Versicherten mit vergleichbarer Ausbildung, Kenntnissen und beruflichen Erfahrungen maßgebend sei.

Die Beklagte rügte daraufhin mit ihrer Revision eine Verletzung von § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr.3 i. V. m. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V, indem sie geltend machte, dass auch Renten der gesetzlichen Rentenversicherung wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht ein vollständiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben voraussetzen, sondern lediglich eine wegen Krankheit oder Behinderung nur eingeschränkte Erwerbsfähigkeit.

Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG)
Das Bundessozialgericht entschied schließlich zugunsten der Beklagten, dass eine Rente wegen Flugdienstuntauglichkeit eine betriebliche Altersversorgung im Sinne des § 1 BetrAVG (Betriebsrentengesetz) darstellt und damit als Versorgungsbezug § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V gilt, so dass Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung abgeführt werden müssen. Begründet wird dies mit der Schaffung eines rententypischen Versorgungszwecks, die Rente somit im Zusammenhang mit der früheren Beschäftigung geleistet werde und entfallendes Entgelt ersetze. Erforderlich sei, dass die Rente „wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit“ gezahlt werde. Dies sei der Fall, wenn die Firmenrente ihren Grund in einer nicht nur vorübergehend bestehenden körperlichen oder geistigen Einschränkung habe, die – jedenfalls teilweise – zum Wegfall des Leistungsvermögens führt und einem rententypischen Versorgungszweck dient. Hierfür sei es ausreichend, dass die Firmenrente auf das Leistungsvermögen in einem bestimmten Berufsfeld abstelle. Hingegen komme es nicht darauf an, dass der Versicherungsfall der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit in gleicher Weise wie nach dem SGB VI definiert wird oder im Einzelfall mit Eintritt der Flugdienstuntauglichkeit zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt sind. Das allein am Versorgungszweck orientierte Verständnis folge insbesondere aus der Regelungsintention und der Gesetzessystematik.

Fazit

Die Firmenrente wegen Flugdienstuntauglichkeit ist keine beitragsfreie Überbrückungsleistung für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern eine betriebliche Altersversorgung im Sinne des § 1 BetrAVG. Sie gilt damit als Versorgungsbezug gem. § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V mit der Folge, dass hierauf Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gezahlt werden müssen.

Dirk Murski, Syndikusrechtsanwalt, Recht | Steuern, Longial
(Er ist Experte für Stellungnahmen mit rechtlichem und steuerlichem Hintergrund insbesondere bei der Einrichtung und Änderung von Versorgungswerken sowie Fragestellungen zu Unterstützungskassen.)