04. September 2019

Die unerträgliche Leichtigkeit des deutschen Altersversorgungssystems - ein fast ernst gemeinter Kommentar

Das deutsche Altersversorgungssystem ist einfach und klar strukturiert. Fast alle wissen über ihre aktuelle Vorsorgesituation Bescheid. Seltsam: Warum gibt es dann nicht schon längst – wie in anderen europäischen Ländern – eine säulenübergreifende Renteninformation für Leistungen aus den drei Säulen?


Drei Säulen – eine Übersicht?
Die erste Säule erfasst die gesetzliche Rentenversicherung, berufsständische Versorgungswerke und die sogenannte Rürup-Rente. Die zweite Säule besteht aus bAV und Riester-Rente, die dritte Säule aus der nicht geförderten Vorsorge – das sind in der Regel private Lebens- und Rentenversicherungen, aber unter anderem auch Fondssparpläne. Könnte es vielleicht daran liegen, dass bereits das bestehende System die eine oder andere Besonderheit aufweist, die es erschwert, eine säulenübergreifende Renteninformation zu gestalten?

44 bAV-Varianten: Welche hätten Sie denn gerne?

Jede Säule besitzt ihre eigenen Charakteristiken. In der bAV beispielsweise gibt es zwar fünf Durchführungswege, vier Zusagearten und drei Finanzierungsformen. Aber alles wild miteinander kombinieren darf man nicht – hier gibt es Einschränkungen. Die Beitragszusage mit Mindestleistung und die sogenannte reine Beitragszusage gibt es nicht in den Durchführungswegen Direktzusage und Unterstützungskasse. Auch fehlen diesen Durchführungswegen die Möglichkeiten, Eigenbeiträge des Arbeitnehmers aus dem versteuerten Netto zu leisten oder diese mit privaten Beiträgen nach dem Ausscheiden fortzuführen. Insgesamt besteht jedoch allein aufgrund der vorgenannten Kriterien theoretisch die Möglichkeit, die bAV auf 44 verschiedene Arten zu gestalten. Um es noch komplexer zu machen, kann man die 44 verschiedenen Arten natürlich auch mischen.

Möglichst komplex: Steuerliche Aspekte der bAV
Sie meinen, das wäre es schon? – Aber nein, wir sollten auch noch kurz die steuerlichen Aspekte beleuchten. Zumindest für Zusagen ab 2005 lassen sich die unterschiedlichen Versorgungsysteme grob in zwei Lager teilen. Direktzusage und Unterstützungskasse auf der einen Seite: Hier erfolgt in der Anwartschaftsphase steuerlich kein Zufluss, in der Leistungsphase fließt jedoch nachgelagerter Arbeitslohn zu. Auf der anderen Seite haben wir Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds, bei denen eine Altersversorgung in der Anwartschaftsphase begrenzt auf einen kalenderjährlichen Beitrag in Höhe von 8 Prozent der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung steuerfrei aufgebaut werden kann. Die daraus resultierenden Leistungen werden dann als sonstige Einkünfte besteuert. Zumindest bis zu einem Versorgungsbeginn vor 2040 ist damit kein steuerlicher Gleichklang in der Leistungsphase gewährleistet. So weit, so gut. Für die Direktversicherung und die Pensionskasse kommt aber je nach Zusagezeitpunkt auch noch die sogenannte Pauschalversteuerung der Beiträge in Betracht, bei der Leistungen dann nur nach dem Ertragsanteil besteuert werden, sofern es sich um eine Zusage bei der Direktversicherung handelt, die vor dem 1.1.2005 erteilt wurde. Für alle drei versicherungsförmigen Durchführungswege kommt zusätzlich natürlich auch noch eine Riesterförderung mit einem besonders leicht verständlichen Fördersystem aus Sonderausgabenabzug und Zulagenförderung in Betracht.

Es geht noch mehr…
In diesem Kontext scheint es dringend geboten, die geringen Auswahlmöglichkeiten bei den unterschiedlichen Vorsorgemöglichkeiten zu erweitern. Hier sei die sogenannte Deutschlandrente aus Hessen erwähnt. Dabei wird ein staatlich organisiertes Standardprodukt diskutiert, das von einem sogenannten Deutschland-Fonds durchgeführt beziehungsweise angeboten werden soll. Dieser tritt zu gleichen Wettbewerbsbedingungen neben die privaten Anbieter. Es soll ähnlich wie in der bAV ein Optionsmodell geben, ebenso wie Beiträge des Staates für Geringverdiener. Die Beiträge werden durch direkten Lohnabzug geleistet. Weiter ist das von der Friedrich-Ebert-Stiftung propagierte Modell des Vorsorgekontos im Gespräch. Es soll in eine ähnliche Richtung gehen, allerdings hier gerade ohne Entgeltumwandlung, damit die Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht geschmälert werden. Organisieren soll es der Deutsche Rentenversicherung Bund, aber streng getrennt von der Umlagefinanzierung. Zuletzt gibt es noch die vom Verbraucherzentrale Bundesverband in den Ring geworfene Extra-Rente. Auch bei ihr wird ein staatlich organisiertes Vorgehen propagiert, bei dem der Arbeitnehmer automatisch über seinen Arbeitgeber in ein öffentlich-rechtliches Standardprodukt mit geringer Kostenladung einzahlt.

Und in der Realität?
Alle Ideen haben für sich gesehen natürlich Charme und klingen bestechend einfach. Aber wie ist das mit der öffentlichen Hand und dem Geld wirklich? Sind wir uns hier wirklich sicher, dass eine höhere Performance beziehungsweise höhere Renditen erzielt werden als bei privaten Anbietern? Wäre es nicht endlich an der Zeit, sich auf die Verbesserung des Bewährten zu konzentrieren und bürokratische Hemmnisse, die bei den bestehenden Produkten zu hohen Kostenladungen führen, abzubauen, statt immer neue Lösungen zu fordern? Auch wenn das Leben sicherlich kein Wunschkonzert ist, wäre es schön, wenn die Töne in der „Vorsorgeweltmusik“ etwas besser aufeinander abgestimmt würden!

Bernd Wilhelm-Werkle, LL.M. Syndikusrechtsanwalt, Leiter Geschäftsbereich Beratung, Longial