15. November 2017

Betriebsrentenstärkungsgesetz & EU-Mobilitätsrichtlinie: Was gibt es ab 1.1.2018 zu beachten?

Bernd Wilhelm, Leiter Geschäftsbereich Beratung bei Longial, stellt sich im Interview den Fragen zu den Auswirkungen der gesetzlichen Neuerungen auf Arbeitgeber im kommenden Jahr.

Weitblick:

Die bAV befindet sich im Umbruch: Das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) und die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie stellen Unternehmen mit bAV vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig bieten sich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch neue Chancen. Was konkret kommt jetzt auf Arbeitgeber ab dem 1.1.2018 zu, wenn BRSG und die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in Kraft treten?

Bernd Wilhelm:

In jedem Fall einige Neuerungen, die die bAV arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlich betreffen. Die beiden Gesetze haben unterschiedliche Hintergründe und Motivationen und sind daher schwer miteinander zu vergleichen. Aufgrund der zeitgleichen Umsetzung dürfte aber für viele Arbeitgeber in irgendeiner Form Handlungsbedarf bestehen.  

Weitblick:

Eine kurze Zusammenfassung des BRSG: Welche Neuheiten enthält es?

Bernd Wilhelm:

Die wichtigste Änderung ist die Einführung des Sozialpartnermodells mit der reinen Beitragszusage. Hier sind die Sozialpartner, also Tarifvertragsparteien wie Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, in der Pflicht: Ihre Aufgabe ist es, branchenweite Modelle für die Zielrente ohne Garantien vorzuschlagen. Als Durchführungswege stehen Pensionskasse, Pensionsfonds und Direktversicherung zur Verfügung. Aufgrund der flexibleren Kapitalanlagevorschriften bei Zielrenten – analog zum Pensionsfonds – soll die Chance auf höhere Renten steigen, trotz Wegfall der Garantien. Außerdem bringt das BRSG einige verbesserte Rahmenbedingungen mit sich: Dazu zählen eine steuerfreie Einzahlung bis 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze im Bereich der kapitalgedeckten bAV über Pensionsfonds, Pensionskasse und Direktversicherung, Verbesserungen bei der Anrechnung von Altverträgen nach §40b Einkommensteuergesetz (EStG), der Ausbau der Vervielfältigungsregel bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie die steuerfreie Einzahlung für maximal 10 Jahre, in denen das erste Dienstverhältnis ruhte, zum Beispiel aufgrund von Kindererziehung oder Entsendungen ins Ausland. Auch Inhaber von Riesterverträgen profitieren vom BRSG: Die Grundzulage wird von 154 Euro auf 175 Euro pro Jahr angehoben, die SV-Beitragspflicht von Rentenleistungen aus Riester-Direktversicherungen entfallen. Zusätzlich wurden neue Anreize für Geringverdiener mit einem Monatseinkommen von bis zu 2.200 Euro geschaffen. Entscheidet sich der Arbeitgeber hier für eine bAV mit einem Jahresbeitrag zwischen 240 und 480 Euro, so kann er 30 Prozent des Beitrages von dem Gesamtbetrag der einzubehaltenden Lohnsteuer entnehmen. Auch in der Rentenphase wurde für den Bereich der Geringverdiener eine wesentliche Verbesserung bei der Anrechnung von bAV-Leistungen auf die Grundsicherung geschaffen. Ab 2018 werden bis zu 208 Euro monatlich nicht auf die Grundsicherung angerechnet.

Weitblick:

Was davon können beziehungsweise müssen Arbeitgeber umgehend umsetzen?

Bernd Wilhelm:

Grundsätzlich gelten die Neuregelungen ab 1.1.2018 und sind auch ab diesem Zeitpunkt zu beachten. Lediglich bei der Weitergabe der SV-Ersparnis sieht der Gesetzgeber ein späteres Inkrafttreten vor. Beim Sozialpartnermodell gilt, dass dieses einen Tarifvertrag voraussetzt.

Weitblick:

Ist beim Sozialpartnermodell davon auszugehen, dass es mit dem Start 2018 sogleich ein flächendeckendes Angebot der neuen reinen Beitragszusage unter anderem in Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gibt?

Bernd Wilhelm:

Davon ist zu Beginn nach derzeitiger Einschätzung nicht auszugehen. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass das Sozialpartnermodell erst im Laufe des Jahres 2018 an Fahrt aufnehmen wird. Wie schnell tatsächlich ein flächendeckendes Angebot vorliegt, ist derzeit schwierig zu beurteilen. Es wird sich zeigen, ob es im Laufe der Zeit einen Zuwachs geben wird. Interessant wird sein, wohin die Reise bei der Ausgestaltung geht: Denkbar wäre, dass die Sozialpartner eigene neue Versorgungseinrichtungen gründen oder sich bereits bestehenden anschließen – zum Beispiel bei der Metallrente oder beim Chemie-Pensionsfonds. Weiterhin ist vorstellbar, dass die Sozialpartner Leitplanken festlegen, an denen sich die Produktanbieter orientieren müssen.

Weitblick:

Eines der Hauptziele des BRSG ist die Verbreitung der bAV in KMU. Das Sozialpartnermodell setzt jedoch einen Tarifvertrag voraus. Können Arbeitgeber in kleinen Unternehmen dennoch das Sozialpartnermodell durchsetzen?

Bernd Wilhelm:

Erklärtes Ziel des BRSG ist es jedenfalls, dass KMU die Möglichkeit erhalten, sich einer tarifvertraglichen Lösung ihrer Branche anzuschließen, indem sie auf tarifvertragliche Regelungen verweisen können. So können sie wiederum ihren Mitarbeitern auch diese Form der bAV anbieten. 

Weitblick:

Wird das Sozialpartnermodell die „alte Welt“ ablösen?

Bernd Wilhelm:

Es ist nicht davon auszugehen, dass das Sozialpartnermodell die alte bAV-Welt ablösen wird. Die bisherigen bewährten Möglichkeiten der alten Welt bestehen weiterhin und sollten deshalb auch zum Vorteil der Arbeitnehmer weiter genutzt werden.

Weitblick:

Zum 1. Januar tritt auch die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in Kraft. Trifft diese nicht ausschließlich Unternehmen, deren Mitarbeiter europaweit tätig sind?

Bernd Wilhelm:

Die EU-Mobilitätsrichtlinie selbst erfasst zwar nur grenzüberschreitende Sachverhalte. Der deutsche Gesetzgeber hat sich jedoch aus Gleichbehandlungsgründen dazu entschlossen, bei der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie fast ausnahmslos alle nationalen Vorgänge ebenfalls zu erfassen

Weitblick:

Was bedeuten diese Neuerungen für den Arbeitgeber und welche Folgen haben diese?

Bernd Wilhelm:

Für alle Arbeitgeber gelten künftig die neuen Unverfallbarkeitsfristen von drei anstatt der bisherigen fünf Jahre. Zu beachten sind hier – wie auch schon bei früheren Herabsetzungen der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen – die Übergangsfristen: So gilt die Neuregelung auch für Zusagen, die ab dem 1.1.2018 bereits 3 Jahre bestanden haben, für den Fall, dass zum Zeitpunkt des Ausscheidens das 21. Lebensjahr vollendet ist. Damit Versorgungsanwartschaften erhalten bleiben, genügt beim Ausscheiden künftig die Vollendung des 21. Lebensjahres. Neu ist auch, dass Kleinstanwartschaften gemäß § 3 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) nicht mehr einseitig abfindbar sind. Ferner werden auch die Auskunftsansprüche der Versorgungsberechtigten neu geregelt. Und mit Inkrafttreten der EU-Mobilitätsrichtlinie unterliegen Anwartschaften jetzt einer Dynamisierung. Diese gilt jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen und bringt zahlreiche Ausnahmen mit sich. Die Dynamisierung wird viele zwar gar nicht treffen – wen sie jedoch trifft, den trifft sie richtig.

Weitblick:

Welche Auswirkungen hat dies auf Auskunftsansprüche? Was muss der Arbeitgeber hier zukünftig beachten?

Bernd Wilhelm:

Alle zukünftig erteilten Auskünfte müssen für den Empfänger verständlich sein und in angemessener Frist erfolgen. Abzustellen ist dabei auf einen durchschnittlich gebildeten Laien. Die Auskünfte können in Textform erteilt werden und bedürfen keiner Schriftform mehr. Eine Zusendung per E-Mail ist ausreichend, nicht jedoch die Abrufmöglichkeit über Intra- oder Internet. In dieser Auskunft muss dargelegt werden, wie hoch voraussichtlich die Anwartschaft bei Erreichen der Altersgrenze sein wird, aber auch, wie hoch der bislang erreichte Teil ist. Gegenüber Aktiven müssen Arbeitgeber zudem darlegen, wie sich eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auswirkt und sich die Anwartschaft fortentwickeln würde. 

Weitblick:

Und welche Auswirkungen hat dies auf Abfindungen von Kleinstanwartschaften?

Bernd Wilhelm:

Die Abfindungsregelung in § 3 Abs. 2 BetrAVG n.F. unterscheidet ab dem 1.1.2018 zwischen nationalen Fällen und solchen mit EU-Auslandsberührung. Das heißt, wechselt ein Mitarbeiter ins EU-Ausland, müssen zukünftig die Versorgungsberechtigten der Abfindung von Kleinstanwartschaften zustimmen, wenn diese innerhalb von 3 Monaten nach dem Ausscheiden ins EU-Ausland wechseln und dies auch mitteilen. Das führt in der Praxis zu einer dreimonatigen Abfindungssperre, in der aber der Arbeitnehmer bereits seine Anschrift beziehungsweise seine Bankverbindung wechseln kann und gegebenenfalls für den Arbeitgeber nicht mehr erreichbar ist.

Weitblick:

Was bedeutet das für den Arbeitgeber? Entsteht durch die EU-Richtlinie ein höherer Verwaltungsaufwand?

Bernd Wilhelm:

Die oben bereits genannten Änderungen, die die EU-Mobilitätsrichtlinie mit sich bringt, bedeuten für den Arbeitgeber einen höheren Verwaltungsaufwand. Insbesondere gilt dies bei der Dynamisierung von Anwartschaften, bei der Herabsetzung der Unverfallbarkeitsfristen und bei den Auskunftsansprüchen. Die Mehrzahl an unverfallbaren Anwartschaften wird zudem den finanziellen Aufwand der bAV aus Sicht der Arbeitgeber erhöhen.

Weitblick:

Vielen Dank für das Gespräch.