24. Mai 2018

Aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu Übergangszuschuss, Einstandspflicht des PSV und Kündigung einer Direktversicherung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich im Frühjahr mit einigen interessanten Entscheidungen rund um die bAV beschäftigt.


Übergangszuschuss stellt eine bAV dar
BAG-Urteil vom 20.3.2018 – 3 AZR 277/16

Im letzten Weitblick wurde über den am 20.3.2018 entschiedenen Fall berichtet, in dem es um die Frage ging, ob ein Übergangszuschuss für die ersten sechs Monate nach dem Eintritt in den Ruhestand unter Anrechnung der Betriebsrente eine bAV darstellt. Dieser Zuschuss wurde vom Arbeitgeber gewährt, um damit den Übertritt in den Ruhestand wirtschaftlich zu erleichtern. Denn wenn es sich um eine bAV handeln sollte, wären in der Insolvenz des Arbeitgebers diese Zahlungen auch insolvenzgeschützt.

Mit Urteil vom 20.3.2018 hat nun der Dritte Senat des BAG – ebenso wie das Landesarbeitsgericht – der Klage überwiegend stattgegeben. Der Übergangszuschuss knüpft an ein vom Betriebsrentengesetz erfasstes Risiko an. Er dient nicht der Überbrückung von Zeiträumen bis zum Eintritt des Versorgungsfalls. Vielmehr bezweckt er, den Lebensstandard des Arbeitnehmers mit Eintritt in den Ruhestand zu verbessern. Damit hat der Übergangszuschuss – auch wenn er lediglich vorübergehend gewährt wird – Versorgungscharakter und stellt damit eine bAV dar, die über dem Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) auch dem Insolvenzschutz unterliegt.

Einstandspflicht des PSVaG bei Leistungskürzungen der Pensionskasse
BAG-Urteil vom 20.2.2018 – 3 AZR 142/16

Auch diese Entscheidung wurde in der letzten Weitblick-Ausgabe angekündigt und mit Spannung erwartet. Hier streiten die Parteien darüber, ob der beklagte PSVaG für einen Anspruch des Klägers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin eintreten muss, weil diese zahlungsunfähig ist und deshalb ihrer Verpflichtung, für eine Leistungskürzung einer Pensionskasse einzustehen, nicht nachkommen kann. Allerdings ist ein Ende des Verfahrens noch nicht in Sicht. Denn das BAG hat in seiner Entscheidung vom 20.2.2018 den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um die Beantwortung der nachfolgenden Fragen ersucht. Bis dort eine Entscheidung ergangen ist, werden ca. nochmals 2 Jahre vergehen.

Was sagt die zugrunde liegende EU-Richtlinie?
Hintergrund des Vorlagebeschlusses an den EuGH ist die Anwendbarkeit und die Auslegung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Nach dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Ansprüche bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern wegen des Bestehens anderer Garantieformen ausnahmsweise vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen, wenn diese den Betroffenen nachweislich einen Schutz gewährleisten, der dem sich aus dieser Richtlinie ergebenden Schutz gleichwertig ist. Nach Art. 8 der Richtlinie müssen sich die Mitgliedstaaten darüber vergewissern, dass alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer getroffen wurden.

Wie verhält es sich im deutschen Recht?
Im deutschen Recht ergibt sich der Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit für die Ansprüche auf eine bAV in erster Linie aus dem Betriebsrentengesetz. Allerdings scheint sich jetzt durch den eingetretenen Fall eine Lücke aufgetan zu haben: So sieht das nationale Recht keine Eintrittspflicht des PSVaG oder einer anderen Sicherungseinrichtung für die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer aufgrund seiner gesetzlichen Einstandspflicht zu erbringenden Leistungen vor, wenn diese Einstandspflicht besteht, weil eine Pensionskasse die Pensionskassenrente kürzt.
In welchem Umfang allerdings die Sicherung zu erfolgen hat und ob es einen Mindestschutz geben muss, regelt die Richtlinie für die Umsetzung nicht.

Der EuGH hat allerdings bislang entschieden, dass ein Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers mindestens die Hälfte der Leistungen aus einer bAV erhalte, die sich aus seinen erworbenen Rechten ergeben. Hieran hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. November 2016 (- C-454/15 - [Webb-Sämann] Rn. 35) zwar im Grundsatz festgehalten. Allerdings hat er weiter ausgeführt, es sei nicht ausgeschlossen, dass unter anderen Umständen die erlittenen Verluste, auch wenn ihr Prozentsatz ein anderer sei, als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden könnten. Der Gerichtshof hat bislang nicht konkretisiert, welcher Art diese „anderen Umstände“ sein können und nach welchen Kriterien sich beurteilt, ob Verluste offensichtlich unverhältnismäßig sind. Zudem stellt sich weiter die Frage, ob sich Ansprüche des Klägers gegebenenfalls direkt aus der EU-Richtlinie ergeben. Daher die nachfolgenden Fragen:

Frage 1 an den Europäischen Gerichtshof
Ist Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anwendbar,

  • wenn Leistungen der bAV über eine der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegenden überbetrieblichen Versorgungseinrichtung erbracht werden,
  • diese aus finanziellen Gründen ihre Leistungen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde berechtigt kürzt und der Arbeitgeber nach nationalem Recht zwar für die Kürzungen gegenüber den ehemaligen Arbeitnehmern einzustehen hat,
  • seine Zahlungsunfähigkeit jedoch dazu führt, dass er seine Verpflichtung, diese Leistungskürzungen auszugleichen, nicht erfüllen kann?

Frage 2 an den Europäischen Gerichtshof
Falls die erste Frage bejaht wird:
Unter welchen Umständen können die durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Verluste des ehemaligen Arbeitnehmers bei den Leistungen der bAV als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden und damit die Mitgliedstaaten verpflichten, hiergegen einen Mindestschutz zu gewährleisten, obwohl der ehemalige Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben?

Frage 3 an den Europäischen Gerichtshof
Falls die erste Frage bejaht wird:
Entfaltet Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unmittelbare Wirkung und verleiht die Bestimmung, wenn ein Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat, dem Einzelnen Rechte, die dieser vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend machen kann?Frage 4 an den Europäischen Gerichtshof

Frage 4 an den Europäischen Gerichtshof
Falls die dritte Frage bejaht wird:
Ist eine privatrechtlich organisierte Einrichtung,

  • die von dem Mitgliedstaat – für die Arbeitgeber verpflichtend – als Träger der Insolvenzsicherung der bAV bestimmt ist,
  • die der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie
  • die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaates?

Entgeltumwandlung – Kündigung einer Direktversicherung im bestehenden Arbeitsverhältnis
BAG Urteil vom 26.4.2018 – 3 AZR 586/16

Der Dritte Senat hat – wie bereits die Vorinstanzen – die Klage abgewiesen. Der Kläger hat kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Kündigung.

Im zugrunde liegenden Fall war der Kläger in eine finanzielle Bedrängnis geraten und kündigte den Versicherungsvertrag. Er war der Ansicht, die beklagte Arbeitgeberin sei aufgrund von Sorgfaltspflichten aus dem Arbeitsverhältnis verpflichtet, die Versicherung zu kündigen. Er sei auf die Auszahlung des Vertragswerts angewiesen, um die Kündigung seiner Baufinanzierung verhindern zu können. Die Versicherungsgesellschaft bat die beklagte Arbeitgeberin daraufhin um Mitteilung, ob sie der Kündigung zustimme. Eine Kündigung des Vertrags sei sonst nicht möglich. Die Arbeitgeberin verweigerte die Zustimmung mit der Begründung, dass sie nach dem Betriebsrentengesetz  an der Zustimmung zur Kündigung gehindert sei.

Ausgleich von Schulden ist kein ausreichender Grund zur Kündigung der Direktversicherung
Nach Auffassung des BAG dient die im Betriebsrentengesetz geregelte Entgeltumwandlung dazu, den Lebensstandard des Arbeitnehmers im Alter zumindest teilweise abzusichern. Mit dieser Zwecksetzung wäre es nicht vereinbar, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen könnte, die Direktversicherung lediglich deshalb zu kündigen, um dem versicherten Arbeitnehmer die Möglichkeit zu verschaffen, das für den Versorgungsfall bereits angesparte Kapital für den Ausgleich von Schulden zu verwenden. Der bloße Geldbedarf eines Arbeitnehmers, für den der Arbeitgeber eine Direktversicherung zur Durchführung der bAV im Wege der Entgeltumwandlung abgeschlossen hat, begründet für sich genommen keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber, den Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherungsgesellschaft zu kündigen, damit der Arbeitnehmer den Rückkaufswert erhält.

Anja Sprick, Justiziarin Recht | Steuern, Longial