08. August 2018

Entgeltdiskriminierung beim Ruhen der Altersrente infolge einer höheren, zeitgleich bezogenen Witwenrente? (BAG-Urteil vom 26.9.2017 – 3 AZR 733/15)

Darf eine Versorgungsordnung regeln, dass der Anspruch auf Altersrente ruht, sofern der Leistungsempfänger zeitgleich aus dieser Ordnung einen Anspruch auf eine höhere Hinterbliebenenrente hat? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat aus europa- und verfassungsrechtlichen Gründen hieran Zweifel.


Soll eine Altersrente infolge einer höheren Witwenrente ruhen, ...
Die Klägerin und ihr vor einigen Jahren verstorbener Ehegatte waren für denselben Arbeitgeber tätig. Dieser gewährt im Rahmen einer unmittelbaren arbeitgeberfinanzierten Versorgungszusage Leistungen der bAV nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz (HmbZVG). Das HmbZVG sieht unter anderem Alters- und Witwen-/Witwerrenten vor. Allerdings soll hier folgende Besonderheit gelten: Bei einem Zusammentreffen von Alters- und Witwen-/Witwerrente, welche dem Empfänger nach dem HmbZVG zustehen, soll die niedrigere der beiden Renten ruhen. Im Falle der Klägerin war die eigene Altersrente geringer als die Witwenrente (aus der Versorgung des Ehegatten). Ausgezahlt wurde ihr daher allein die Witwenrente. Vor dem BAG begehrte die Klägerin auch die Zahlung der Altersrente. Es läge anderenfalls eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vor.

... könnte dies eine Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen,
Eine solche Diskriminierung kann nach Einschätzung des BAG im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden. Es könnte sein, dass die betreffende Ruhensregelung gegen Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstößt. Dies wäre dann der Fall, wenn die nachteiligen Folgen der Regelung vorwiegend Angehörige eines Geschlechts treffen, ohne dass es hierfür eine objektive Rechtfertigung gibt. Der erste Anschein spricht nach Auffassung des BAG für einen solchen Verstoß. Denn Frauen haben aufgrund ihrer Erwerbsbiografien (Teilzeittätigkeit, Ausfallzeiten wegen familiärer Fürsorgepflichten, geringer vergütete Tätigkeiten) oft ein niedrigeres Einkommen und dementsprechend eine geringere bAV als Männer. Ihre Altersrente dürfte damit häufiger unter der Witwenrente liegen, auch wenn diese nur 60 Prozent der Altersrente des Ehepartners ausmacht. Inwieweit im vorliegenden Klagefall bei dem Arbeitgeber solche einseitigen Benachteiligungen zu erwarten sind, wurde aber von der Vorinstanz bislang nicht hinreichend geprüft. Dies ist nach Auffassung des BAG nachzuholen.

... soweit die Ungleichbehandlung nicht objektiv gerechtfertigt werden kann.
Soweit der Arbeitgeber den ersten Anschein einer Diskriminierung nicht entkräften kann, hätte er nachzuweisen, dass objektive Faktoren die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Das BAG lässt in seinen Ausführungen allerdings durchblicken, dass es sich kaum Argumente für die objektive Rechtfertigung einer solchen Benachteiligung denken kann. Weder Haushaltserwägungen des Arbeitgebers noch die Vermeidung einer Doppelversorgung sind in den Augen des BAG zulässige beziehungsweise nachvollziehbare Ziele. Eine Doppelversorgung wird im vorliegenden Fall nämlich nur bei gleicher Quelle (also derselben Versorgungsordnung bei dem Arbeitgeber) ausgeschlossen, während Fremdversorgungen, gleich welcher Höhe, unberücksichtigt bleiben.

Aber selbst dann würden verfassungsrechtliche Zweifel bleiben ...
Letzteres könnte – selbst dann, wenn keine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliegt – aber noch aus anderen Gründen zu beanstanden sein. Denn es könnte eine Ungleichbehandlung von Eheleuten, die für den gleichen Arbeitgeber tätig sind, gegenüber Eheleuten vorliegen, bei denen ein Partner einen anderen Arbeitgeber hat. Insoweit könnte – was das BAG ausdrücklich offenlässt – zudem ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz gegeben sein.

Fazit: 

Regelungen, welche beim Zusammentreffen von Alters- und Witwen-/Witwerrente nur dann zum Ruhen der niedrigeren Leistung führen, wenn beide Zahlungen aufgrund derselben Versorgungsordnung beim identischen Arbeitgeber geleistet werden, können eine Entgeltdiskriminierung im Sinne des AEUV darstellen. Darüber hinaus ist offen, ob derartige Bestimmungen womöglich dem allgemeinen Gleichheitssatz zuwiderlaufen und insoweit verfassungswidrig sein könnten.

Michael Gerhard, Aktuar DAV, Recht | Steuern, Longial