01. September 2020

Direktversicherung bei Privatinsolvenz des Gesellschafter-Geschäftsführers (OLG Braunschweig-Urteil vom 4.9.2019 – 11 U 116/18)

Das Urteil räumt dem Insolvenzverwalter, der an die Stelle eines Gesellschafter-Geschäftsführers (GGF) einer GmbH getreten ist, der wiederum privatinsolvent ist, einen Anspruch gegen die GmbH ein, den bestehenden Direktversicherungsvertrag zwischen GmbH und Versicherer zu Lasten des GGF zu kündigen.


Der Fall 
Die beklagte GmbH hatte ihrem alleinigen GGF eine bAV in Form einer Direktversicherung zugesagt. Die GmbH war dabei Versicherungsnehmerin der Direktversicherung. Dem GGF war ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden. Jahre später geriet der GGF in Privatinsolvenz. In dem zugrundeliegenden Verfahren nimmt der Insolvenzverwalter die GmbH auf Kündigung der Direktversicherung in Anspruch, um den Rückkaufswert zur Insolvenzmasse zu ziehen. 

Entscheidung des Oberlandesgerichts
Dem Insolvenzverwalter steht gegenüber der GmbH ein Anspruch auf Kündigung des hier streitgegenständlichen Versicherungsvertrages aus dem Geschäftsführeranstellungsvertrag mit Versorgungszusage in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) zu. Der Versicherungsvertrag ist allerdings nur durch die GmbH als Versicherungsnehmerin (nach § 168 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)) kündbar. Dem GGF als Bezugsberechtigten steht ein Kündigungsrecht nicht zu. Allein die Vertragspartei sei berechtigt, vertragsgestaltende Rechte auszuüben, so das Oberlandesgericht (OLG).

Unwiderrufliche Bezugsberechtigung gibt Rechte
Die unwiderrufliche Bezugsberechtigung lässt hier zu, dass sämtliche aus dem Versicherungsvertrag fällig werdenden Ansprüche – einschließlich des Rückkaufswertes nach Kündigung des Vertrages – in Anspruch genommen werden können. Auch bei unwiderruflicher Bezugsberechtigung des GGF verbleibt dem Versicherungsnehmer das Recht, das Versicherungsverhältnis jederzeit zu kündigen (§ 168 Abs. 1 VVG). Der GGF selbst kann nicht kündigen. Er hat aber gegenüber der GmbH grundsätzlich einen Anspruch auf Kündigung des Versicherungsvertrages. 

Gegenseitige Interessenabwägung erforderlich
Eine Kündigung setzt allerdings voraus, dass eine gegenseitige Interessenabwägung stattgefunden hat. Im vorliegenden Fall sind nach Auffassung des Gerichts keine Interessen beider Parteien erkennbar, die einer Kündigung des Versicherungsvertrages entgegenstehen. 

Bei dem GGF handelt es sich um den Alleingesellschafter und Geschäftsführer der beklagten GmbH. Er wird damit zwar nicht unmittelbar im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko tätig. Angesichts seiner Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft ist er aber wirtschaftlich betrachtet wie bei einer Tätigkeit im eigenen Namen betroffen. Dies zeigt sich typischerweise auch im Falle des Misserfolges. Der geschäftsführende Alleingesellschafter kann unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund der Durchgriffshaftung in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus muss der Alleingesellschafter in der Regel bei Kredit- und Lieferverträgen der Schuld der Gesellschaft beitreten oder eine Bürgschaft übernehmen. Er haftet damit in großem Umfang für Forderungen, welche typischerweise bei einem selbständigen Unternehmer, nicht aber bei einem Verbraucher, bestehen. Die daraus resultierende enge Verbindung zwischen dem GGF und der beklagten GmbH lässt nach Auffassung des OLG das Interesse der GmbH, den GGF an sich zu binden, obsolet erscheinen.

Sozialpolitische Erwägungen zugunsten des GGF stehen dem ebenfalls nicht entgegen. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, BAGE 162, 354-360, Rn. 10) entschieden, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, eine zugunsten des Arbeitnehmers zur Durchführung einer Entgeltumwandlung abgeschlossene Direktversicherung zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer mit dem Rückkaufswert der Versicherung Verbindlichkeiten tilgen wolle. Allerdings ist diese Entscheidung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Denn die der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zugrundeliegenden Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der bAV (BetrAVG) sind auf den beherrschenden GGF gerade nicht anwendbar.

Auch andere Regelungen, zum Beispiel Pfändungsschutzvorschriften, stehen dem Kündigungsanspruch nicht entgegen. Da der Anspruch des GGF auf Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Kläger als Insolvenzverwalter übergegangen ist, kann er von der GmbH die Kündigung des Versicherungsvertrages verlangen und das Vermögen zur Insolvenzmasse ziehen.

Fazit

Im Rahmen einer Privatinsolvenz schützt auch eine vermeintlich sichere Altersvorsorge eines beherrschenden GGF nicht vor Auflösung – es sei denn, ein wirksamer Pfändungsschutz ist vereinbart.
Ein Pfändungsschutz nach § 851c Zivilprozessordnung setzt voraus, dass eine Verfügung (Abtretung, Verpfändung oder Kündigung) über die Ansprüche vertraglich unwiderruflich ausgeschlossen ist (OLG München, Beschluss vom 18.7.2016 – 25 U 2009/16, juris, Rn. 6; Becker in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Auflage, § 851c Rn. 2). Aus den vorgelegten vertraglichen Vereinbarungen ergab sich hier nicht, dass das in den Versicherungsbedingungen zugestandene Kündigungsrecht ausgeschlossen worden wäre.

Anja Sprick, Justiziarin Recht | Steuern, Longial