04. September 2019

Die Fünftelungs-Regelung: Der Streit vor den Finanzgerichten geht weiter (FG Köln-Urteil vom 14.2.2019 – 15 K 855/18; BFH-Urteil vom 13.3.2018 – IX R 16/17; BFH-Urteil vom 13.3.2018 – IX R 12/17)

Mit der sogenannten Fünftelungs-Regelung wird für außerordentliche Einkünfte eine Milderung der Steuerprogression gewährt. Welche Einkünfte diesbezüglich als außerordentliche Einkünfte gelten, führt wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung.


Die Milderung der Steuerprogression durch die Fünftelungs-Regelung nach § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) ergibt sich dadurch, dass bei Ermittlung der maßgeblichen Steuer im ersten Schritt lediglich diejenige Steuerschuld bestimmt wird, welche sich ohne Berücksichtigung der außerordentlichen Einkünfte ergeben würde. Im zweiten Schritt folgt die Berechnung der Steuerschuld unter Einbeziehung eines Fünftels der außerordentlichen Einkünfte. Schließlich ist der Unterschiedsbetrag zu verfünffachen und der im ersten Schritt ermittelten Steuer hinzuzurechnen. Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG sind dabei unter anderem „Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten“, wobei „mehrjährig eine Tätigkeit [ist], soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.“

Kein atypischer Ablauf bei Inanspruchnahme einer Pensionskassen-Kapitaloption, ...
Bereits vor einiger Zeit hatte sich der Bundesfinanzhof (BFH) mit der Frage zu befassen, inwieweit die Fünftelungs-Regelung auf die Kapitalleistung aus einer Pensionskassenversorgung Anwendung finden kann (Urteil vom 20.9.2016, X R 23/15,  siehe Weitblick 2/2017). Dem damaligen Verfahren lag ein Fall zugrunde, bei dem eine Arbeitnehmerin und ihr Arbeitgeber vereinbart hatten, dass anstelle der vorrangig zugesagten Altersrente im Versorgungsfall eine einmalige Kapitalzahlung erfolgt. Die Bedingungen der betreffenden Pensionskasse ließen eine solche Vorgehensweise ausdrücklich zu. Damals vertrat der BFH die Auffassung, dass zwar § 34 EStG grundsätzlich auf alle Einkunftsarten anwendbar wäre; eine „Außerordentlichkeit“ der Einkünfte aus der betreffenden Pensionskassenversorgung wäre jedoch nicht gegeben, da das Versorgungswerk ein Kapitalwahlrecht für die Versorgungsleistung ausdrücklich vorsah und insoweit durch die Kapitalzahlung kein atypischer Ablauf vorlag. Dieser – so der BFH – sei aber kennzeichnendes Merkmal außerordentlicher Einkünfte. Die Anwendung des § 34 EStG wurde vor diesem Hintergrund abgelehnt.

... aber vielleicht im Falle der Kündigung einer Pensionskassen-Versorgung?
(FG Köln-Urteil vom 14.2.2019 – 15 K 855/18)

Nun wird der BFH in einem Revisionsverfahren zu einem ähnlichen Sachverhalt Stellung nehmen müssen. Dort war die Pensionskassenversorgung nach Dienstaustritt der Arbeitnehmerin auf diese übertragen und von ihr einige Jahre vor dem regulären Pensionsalter zur Auszahlung gebracht worden. Während der entsprechende Versicherungsvertrag bei Leistungsbeginn im regulären Pensionsalter vorsah, dass anstelle der vorrangig zugesagten Altersrente eine einmalige Kapitalzahlung erfolgen kann, war bei dem vorgezogen gewählten Abruf eine einmalige Zahlung obligatorisch. Die ehemalige Arbeitnehmerin argumentierte in der Vorinstanz vor dem Finanzgericht, dass sie infolge einer wirtschaftlichen Notlage zu der vorgezogenen Inanspruchnahme der Versicherungsleistung gezwungen war. Für sie hätte gar nicht die Möglichkeit bestanden, die Leistung erst im regulären Pensionsalter in Anspruch zu nehmen und insoweit ein Kapitalwahlrecht auszuüben. Wenn sie aber an der Ausübung des Kapitalwahlrechts gehindert war und vorzeitig die Leistung obligatorisch in Kapitalform erhielt, dürften nach ihrer Auffassung die Grundsätze des BFH-Urteils vom 20.9.2016 auf ihren Fall auch keine Anwendung finden. Insofern sei die Leistung unter Anwendung von § 34 EStG zu versteuern. Dieser Argumentation hat sich die Vorinstanz, das FG Köln,  nicht angeschlossen. Für die Frage, ob ein typischer Ablauf vorliegt oder nicht, kam es nach Einschätzung des Gerichts nicht darauf an, inwieweit im Leistungsfall ein Auszahlungswahlrecht ausgeübt werden konnte. Wenn bei einem vorgezogenen Abruf die Leistung obligatorisch und damit vertragsgemäß als Einmalkapital erbracht werde, wäre dies ein typischer Ablauf. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die ehemalige Arbeitnehmerin als Versicherungsnehmerin die vorgezogene Auszahlung selbst veranlasst. Dabei dürften die Motive für die vorgezogene Inanspruchnahme aus Sicht des Gerichts keine Rolle spielen. Denn anderenfalls wären solche Motive gegebenenfalls auch im Fall der Ausübung von Kapitalwahlrechten zu prüfen. Dass eine solche Prüfung auf wirtschaftliche Motive vorzunehmen ist, ließe sich dem Urteil des BFH vom 20.9.2016 jedoch nicht entnehmen. Das Finanzgericht hat vor diesem Hintergrund eine Anwendung des § 34 EStG nicht zugelassen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der BFH im Revisionsverfahren eine differenzierte Auffassung vertreten wird.

Was gilt in anderen Durchführungswegen der bAV?
Das für eine Pensionskassenversorgung – also für einen versicherungsförmigen Durchführungsweg der bAV – ergangene Urteil des BFH vom 20.9.2016 hatte die Frage aufgeworfen, ob es gegebenenfalls auch Nebenwirkungen auf nicht-versicherungsförmige Durchführungswege entfalten könnte. Denn die Argumentation des BFH wie auch die Urteilsbegründung beim FG Köln gehen nicht konkret auf die Besonderheiten der beiden verschiedenen Durchführungswege ein. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Finanzverwaltung derartige Nebenwirkungen derzeit offenbar nicht vermutet. Denn in seinem Schreiben vom 6.12.2017 (IV C 5 - S 2333/17/10002) war das Bundesministerium der Finanzen (BMF) unverändert bei seiner Auffassung geblieben, dass es sich bei Versorgungsleistungen in nicht-versicherungsförmigen Durchführungswegen, die nicht fortlaufend, sondern in einer Summe gezahlt werden, grundsätzlich um Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten im Sinne des § 34 EStG handelt, die bei Zusammenballung als außerordentliche Einkünfte nach § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern sind. Insoweit ist bei einmaligen Versorgungsleistungen aus einer unmittelbaren Versorgungszusage beziehungsweise einer Unterstützungskassenversorgung die Anwendbarkeit der Fünftelungs-Regelung nach Einschätzung des BMF weiterhin gegeben.

Bei der vorzeitigen Abfindung oder sonstigen Entschädigung ...
Doch auch bei einer vorzeitigen Leistung, zum Beispiel aus einer unmittelbaren Versorgungszusage beziehungsweise einer Unterstützungskassenversorgung, kann es im Zusammenhang mit der Anwendung des § 34 EStG zu Zweifelsfragen kommen, die von den Finanzgerichten zu beurteilen sind. Ist die jeweilige Zahlung dann nicht als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) einzuordnen (vergleiche Urteil des BFH vom 12.4. 2007 (VI R 6/02)), stellt sich die Frage, ob eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG) vorliegt (vergleiche Urteil des BFH vom 27.7.2004 (IX R 64/01)). Der BFH vertritt die Auffassung, dass eine Entschädigung nur dann anzunehmen ist, wenn diese einem solchen Ausgleich von Einnahmen dient, welcher entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder vom Empfänger der Abfindung selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, wenn dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand. Der Empfänger der Zahlung darf das schadenauslösende Ereignis zudem nicht aus eigenem Antrieb herbeiführen.

... kann die Fünftelungs-Regelung gegebenenfalls selbst bei einvernehmlicher Beendigung des Dienstverhältnisses ...
(BFH-Urteil vom 13.3.2018 - IX R 16/17)

Der BFH hatte sich jüngst mit der Frage zu befassen, ob ein solcher Druck auch dann angenommen werden kann, wenn ein Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst und in diesem Zusammenhang eine Abfindung – hier ohne Bezug zur bAV – gezahlt wird. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer in abhängiger Beschäftigung mit seinem Arbeitgeber bezüglich des Dienstverhältnisses einen Auflösungsvertrag geschlossen. Dieser sah die Zahlung einer Abfindung unter Erlöschen aller gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vor. In der Vorinstanz hatte das Finanzgericht bei der einvernehmlich getroffenen Vereinbarung die Ausübung eines besonderen Drucks auf den Arbeitnehmer, der eine Einordung der Abfindung als Entschädigung rechtfertigen würde, nicht erkennen können und die Anwendbarkeit des § 34 EStG abgelehnt. Der BFH widersprach dieser Auffassung aus grundsätzlichen Erwägungen. Nach seiner Einschätzung zeige die Zahlung der Abfindung an sich, dass der Arbeitgeber ein erhebliches Interesse an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehabt habe. Allein dies sei Indiz für äußeren Druck auf den Arbeitnehmer. Diese Grundvermutung könne allenfalls widerlegt werden, wenn sich im Einzelfall ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würde. Diese war in dem zugrunde liegenden Fall aber laut BFH allein vor dem Hintergrund nicht anzunehmen, dass es bei der Firma allgemein Planungen zum Personalabbau gab. Der BFH sah insoweit die Anwendbarkeit der Fünftelungs-Regelung als gegeben.

... und unter Umständen auch für den Fall des andauernden Dienstverhältnisses angewendet werden.
(BFH-Urteil vom 13.3.2018 - IX R 12/17)

In einem weiteren Verfahren hatte der BFH einen Fall zu beurteilen, in dem eine vorzeitige Abfindung im Zusammenhang mit der Umstrukturierung eines Versorgungswerks erfolgt war. Der betreffende Arbeitgeber schloss die bisherige bAV in Form einer unmittelbaren Versorgungszusage nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Er bot den Betroffenen an, die jeweils erdiente Anwartschaft in ein neues, beitragsorientiertes System zu überführen und bei Zustimmung eine Wechselprämie zu zahlen. Anders als die Vorinstanz sah der BFH hier keinen Grund, die Anwendung der Fünftelungs-Regelung zu beanstanden. Nach seiner Einschätzung war zum einen unstrittig, dass der Arbeitnehmer bei dem Vorgang unter nicht unerheblichen Druck gesetzt wurde. Denn: Ohne seine Zustimmung bestand bei Verbleib im Altsystem das Risiko, im Versorgungsfall niedrigere Leistungen als bei einem Wechsel zu erhalten. Einer Anwendung des § 24 EStG sprach nach Auffassung des BFH zum anderen nicht der Umstand entgegen, dass die Zahlung der Wechselprämie im laufenden Arbeitsverhältnis erfolgte. Soweit das Finanzgericht in der Vorinstanz davon ausgegangen war, der BFH habe mit seiner früheren Rechtsprechung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Grundvoraussetzung für die Anerkennung einer Leistung als Entschädigung gemacht, so sei dies eine Fehlinterpretation. Erforderlich sei lediglich, dass die Zahlung auf einer umfassend neuen Rechtsgrundlage beruhe. Eine wie im vorliegenden Fall vorgenommene vollständige Umstellung der bAV sei eine solche neue Rechtsgrundlage. Die Anerkennung der Zahlung als Entschädigung sei insoweit nicht zu beanstanden.

Fazit:

Die Anwendung des § 34 EStG bleibt ein strittiges Thema. Das gilt nicht nur für den Bereich der bAV. Dort ist unter anderem weiterhin strittig, welche Zahlungen einen so „atypischen“ Charakter haben, dass die Fünftelungs-Regelung angewendet werden kann. Auch bei Entschädigungszahlungen – mit oder ohne Bezug zur bAV – ergeben sich laufend neue Fragestellungen. Diese haben letztlich ihren Ursprung darin, dass die Rechtsprechung unscharfe Begriffe, beispielsweise „Druck auf den Leistungsempfänger“ oder „geänderte Rechtsgrundlage“, formuliert hat, an denen das Vorliegen einer Entschädigung zu prüfen ist. Vor diesem Hintergrund kann nur dazu geraten werden, rechtzeitig vor Vereinbarung einer Zahlung, auf die gegebenenfalls der § 34 EStG Anwendung finden könnte, die steuerlichen Auswirkungen im Einzelfall prüfen zu lassen.
Über die Fünftelungs-Regelung informiert am 11.9.2019 auch ein Webinar.

Michael Gerhard, Aktuar DAV, Recht | Steuern, Longial