23. Februar 2022

Aktuelle Entwicklungen zur Fünftelungs-Regelung nach § 34 EStG

FG Köln-Urteil vom 30.9.2021 – 15 K 855/18: Wann kann für außerordentliche Einkünfte eine Milderung der Steuerprogression nach § 34 EStG gewährt werden? Mit dieser Frage beschäftigen sich vermehrt die Finanzgerichte. Doch oftmals ohne befriedigendes Ergebnis. Ein Überblick:


Die Fünftelungs-Regelung: Schon seit längerem sind sich BMF und BFH uneins
§ 34 Einkommensteuergesetz (EStG) sieht vor, dass die Einkommensteuer, die auf bestimmte außerordentliche Einkünfte anfällt, nach einem besonderen Verfahren (sogenannte „Fünftelungs-Regelung“) zu bemessen ist. Im Ergebnis kann hierdurch eine erhebliche Progressionsminderung bewirkt werden. Als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG kommen dabei auch Leistungen der bAV in Betracht – insbesondere, wenn sie als Einmalkapital ausgezahlt werden. In den Durchführungswegen Direktzusage und Unterstützungskasse kann nach Ansicht der Finanzverwaltung die Fünftelungs-Regelung genutzt werden, bei den anderen Durchführungswegen hingegen nicht (Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 12.8.2021 – IV C 5 – S 2333/19/10008 :017). Die Finanzgerichte sehen das Thema jedoch aus einem ganz anderen Blickwinkel. Die Frage, unter welchen Bedingungen eine Leistung als „außerordentlich“ anzusehen ist, war Gegenstand diverser Verfahren. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich schon mehrfach hiermit befasst (siehe hierzu frühere Weitblick-Artikel: 2/2017, 3/2019 und 1/2021).

Die Rechtsprechung des BFH zur Anwendbarkeit des § 34 EStG ...
Außerordentlich, so die Meinung des BFH, ist eine Einmalzahlung allenfalls dann, wenn sie für „den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch“ ist. Dies ist anhand statistischen Materials zu prüfen, so die Auffassung des BFH in zwei Verfahren zu Pensionskassen-Versorgungen (Urteile vom 6.5.2020 – X R 24/19 und X R 7/19). Es sei insoweit zu erheben, ob es nur in atypischen Einzelfällen zur Zahlung eines einmaligen Kapitals kommt oder nicht. Zur Erhebung entsprechender Daten hatte der BFH die beiden Verfahren an die jeweilige Vorinstanz zurückverwiesen. Deren Entscheidungen waren mit Spannung erwartet worden. In einem Fall liegt diese Entscheidung nunmehr vor.

... führt wegen nicht erfüllbarer Kriterien zu keinem befriedigenden Ergebnis
Dabei räumt das betreffende Finanzgericht (FG) ein, bei dem Versuch, geeignete statistische Daten zu erheben, gescheitert zu sein. Auf seine Anfrage an verschiedene Behörden, Verbände und Organisationen zu entsprechenden statistischen Daten erhielt es in der Regel die Antwort, dass hierzu keine konkreten Auswertungen vorlägen. Diese Auskunft erteilte auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Man gehe dort aufgrund von Schätzungen allenfalls davon aus, dass Kapitalzahlungen einen hohen Anteil unter den verschiedenen Auszahlungsformen einnehmen dürften. Im Ergebnis waren die vom Gericht eingeholten Auskünfte damit so wenig aussagekräftig, dass die vom BFH geforderten Feststellungen nicht mit Gewissheit getroffen werden konnten. Das Finanzgericht entschied daher letztlich erneut auf Basis der bereits im ersten Rechtsgang vorgebrachten Argumente. Es lehnte die Einordnung der Auszahlung als atypisch insoweit wieder mit seiner ursprünglichen Begründung ab. Diese bestand darin, dass das betreffende Pensionskassen-Versorgungswerk eine Kapitalisierungsoption enthielt – also die Kapitalauszahlung ausdrücklich zuließ.

Keine Fünftelungs-Regelung bei mehreren Teilkapitalauszahlungen
Eine Anwendung des § 34 EStG kommt nach der Rechtsprechung des BFH in Ausnahmefällen auch dann in Betracht, wenn die betreffende Leistung nicht in Form eines Einmalkapitals, sondern in mehr als einem Betrag erbracht wird. Dies soll dann der Fall sein, wenn zu einer Hauptleistung in einem anderen Veranlagungszeitraum lediglich eine marginale Teilleistung hinzutritt (BFH-Urteil vom 25.8.2009 – IX R 11/09). Mit der Frage, ob bei mehreren minimalen Teilleistungen, die in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen gezahlt werden, die Anwendbarkeit des § 34 EStG für die Hauptleistung erhalten bleibt, hatte sich jüngst das FG Thüringen zu befassen (Urteil vom 28.7.2021 –1 K 478/20). Dabei kam das FG in seiner Urteilsbegründung zu dem Ergebnis, dass die Auszahlung einer Leistung über mehr als zwei Veranlagungszeiträume einer Anwendbarkeit des § 34 EStG grundsätzlich entgegensteht. Allerdings stand bei dem zu beurteilenden Fall auch zusätzlich in Frage, ob es sich bei den Nebenleistungen tatsächlich um Marginalleistungen gehandelt hatte. Denn die Nebenleistungen beliefen sich in Summe auf 15 Prozent der Hauptleistung. Die von dem BMF aufgestellte Grenze von 10 Prozent, welche für die Einordnung als Nebenleistung von der Finanzverwaltung gefordert wird, war damit übertroffen (BMF-Schreiben vom 4.3.2016 – IV C 4-S 2290/07/10007:031).

Anwendung des § 34 EStG bei Auszahlung eines separaten Versorgungsbausteins
In einem weiteren Verfahren lag der Sachverhalt wie folgt: Eine Direktzusage war erteilt worden, die sich aus einem arbeitgeberfinanzierten Basiskonto und einem optionalen arbeitnehmerfinanzierten Aufbaukonto zusammensetzte. Die Leistung wurde grundsätzlich als Einmalzahlung erbracht, auf Antrag des jeweiligen Leistungsempfängers, wahlweise aber auch in Rentenform. Zur Auszahlung kamen bei einem Versorgungsberechtigten zunächst allein die auf dem Aufbaukonto angesammelten Mittel in Form eines Einmalkapitals. Das Finanzamt lehnte hierbei die Anwendung der Fünftelungs-Regelung unter anderem mit der Begründung ab, dass es sich lediglich um eine Teilkapitalauszahlung der zugesagten Leistungen handele, weil die Auszahlung des Basiskontos nicht zeitgleich erfolgte. Dieser Einschätzung wollte sich der BFH (Urteil vom 23.4.2021 – IX R 3/20) aber ebenso wenig anschließen wie die Vorinstanz (FG Münster-Urteil vom 29.10.2019 – 15 K 1271/16 E). Zwar seien sowohl die Leistungen aus dem Basiskonto als auch diejenigen aus dem Aufbaukonto Bestandteil einer betrieblichen Gesamtversorgung. Gleichwohl handele es sich hierbei um zwei selbstständige, getrennt zu behandelnde Ansprüche. Denn die Versorgungsleistungen aus dem Basiskonto würden ausschließlich vom Arbeitgeber finanziert und bestünden unabhängig von einem etwaigen Eigenbeitrag des betroffenen Arbeitnehmers. Ob und in welcher Höhe die Mitarbeiter Entgeltumwandlung betreiben, sei allein ihrer Entscheidung überlassen. Die Auszahlung für die beiden Bausteine sei damit voneinander unabhängig. Insbesondere komme also die Anwendung der Fünftelungs-Regelung bei Auszahlung des einen Bausteins unabhängig davon in Betracht, wie mit dem anderen Baustein verfahren werde.

Die Kapitalisierungsoption als Ausschlussgrund für den § 34 EStG
Um die Frage, ob womöglich eine Teilkapitalauszahlung vorliegt, ging es auch in dem Verfahren vor dem FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.6.2020 – 6 K 1449/18). Dabei erhielt der Leistungsempfänger im Durchführungsweg der Direktzusage von seinem ehemaligen Arbeitgeber im Streitjahr sowohl eine laufende Pension als auch ein Einmalkapital ausgezahlt. Die laufende Versorgung sollte sich dabei auf Grundlage seiner Tätigkeit als Wahlbeamter und der darüber hinausgehende Teil der Versorgungszusage durch die Tätigkeit als Verbandspräsident ergeben. Dies, so die Auffassung des FG, sei aber letztlich im vorliegenden Fall nur eine rechnerische, aber keine rechtlich begründete Aufteilung der Leistungen gewesen. Die beiden Versorgungsbausteine seien vielmehr als Einheit zu betrachten. Insoweit läge bei der Einmalzahlung tatsächlich eine Teilkapitalauszahlung vor. Dies, so das Gericht, war im vorliegenden Fall aber gar nicht entscheidend. Die Anwendbarkeit des § 34 EStG auf Teilkapitalzahlungen wollte es dem Grunde nach auch nicht grundsätzlich als unzulässig beurteilen. Es lehnte die Anwendung der Fünftelungs-Regelung letztlich wegen der fehlenden Atypik der Zahlung ab. Die Möglichkeit, die Leistung in Form eines Einmalkapitals zu erbringen, war in der Versorgungszusage ausdrücklich vorgesehen. Dabei war es nach Ansicht des Gerichts unerheblich, ob das Kapitalwahlrecht von Anfang an in der Versorgungszusage enthalten war oder, wie im vorliegenden Fall, erst nachträglich dort aufgenommen wurde. Allein die Option zur Ausübung der Kapitaloption läge die Wertung nahe, dass die Auszahlung nicht atypisch war und dass insoweit eine Anwendung der Fünftelungs-Regelung ausscheide. Das FG beruft sich dabei auf eine angeblich gleiche Sicht des BFH. Ob es dabei die bisherigen BFH-Urteile tatsächlich richtig interpretiert hat, bleibt abzuwarten. Denn dort ist das Verfahren nunmehr in Revision anhängig (VI R 5/21).

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss von § 34 EStG
Zu einem analogen Ergebnis kam auch das FG Münster in seinem Gerichtsentscheid vom 29.10.2020 (15 K 1271/16 E). Dabei befand es über die Versteuerung einer Leistung aus einer Direktversicherung, deren Beitragszahlungen gemäß § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt waren. Der Direktversicherungsvertrag sah hier von vornherein eine Möglichkeit der Kapitalisierung der zugesagten Leistung vor. Bei der dann durchgeführten Einmalzahlung handelte es sich nach Auffassung des Gerichts insoweit um eine im Vertrag vorgesehene Leistung, die damit nicht „außerordentlich“ im Sinne des § 34 EStG sein könne. Die Anwendung der Fünftelungs-Regelung sei insoweit ausgeschlossen. Die im Ergebnis höhere Steuerlast bei Kapitalzahlungen im Vergleich zu gleichwertigen Rentenleistungen sei im Übrigen auch verfassungskonform. Denn es sei letztlich der Normalfall, dass in verschiedenen Veranlagungszeiträumen anfallende unterschiedlich hohe Einkünfte zu unterschiedlich hohem zu versteuernden Einkommen und damit aufgrund der Progression auch zu relativ unterschiedlich hohen Steuerbelastungen führen.  

Die Fünftelungs-Regelung kann bei Abfindung laufender Renten sachgerecht sein
Das FG Hessen hat im Rahmen eines Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung (AdV-Verfahren) Stellung zur Anwendung der Fünftelungs-Regelung nach § 34 EStG in den Fällen genommen, in denen eine ablösende Kapitalauszahlung erst Jahre nach Renteneintritt erfolgt (FG Hessen-Beschluss vom 14.5.2020 – 4 V 312/20). Hier lag der Sachverhalt so, dass eine laufende Leistung, welche zunächst eine Unterstützungskasse gezahlt hatte, auf einen Pensionsfonds übertragen worden war. Der Pensionsfonds unterbreitete dem Leistungsempfänger ein Angebot zur Abfindung dieser laufenden Leistung, ohne dass eine solche Kapitalisierung in dem ursprünglichen Versorgungswerk vorgesehen war. Dies war möglich, da die Rentenzahlung bereits vor dem Jahr 2005 eingesetzt hatte und insoweit das heutige Abfindungsgebot des § 3 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) nicht einschlägig war (vergleiche § 30g Abs. 3 BetrAVG). Der Leistungsempfänger nahm das Angebot auf Abfindung der laufenden Leistungen durch einen Einmalbetrag an. Das FG würdigte diesen Vorgang insgesamt als atypisch. Es vertrat die Auffassung, dass ein in einem Leistungsplan fehlendes Kapitalwahlrecht ein Indiz für den Ausnahmecharakter der Kapitalzahlung darstelle. Kapitalauszahlungen, die bisherige Rentenzahlungen aufgrund eines nachträglichen Wahlrechts ablösen, seien nicht automatisch typisch. Begünstigte Einkünfte für mehrere Jahre im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG können damit vorliegen.

Fazit

Die Finanzverwaltung macht die Anwendbarkeit der Fünftelungs-Regelung bei bAV-Leistungen unverändert allein am gewählten Durchführungsweg fest und will dabei insbesondere Leistungen einer Direktversicherung, einer Pensionskasse oder eines Pensionsfonds vom Geltungsbereich des § 34 EStG ganz ausschließen. Dagegen sehen die Finanzgerichte durchweg nur noch die „Atypik“ als maßgebliches Kriterium. Die Frage, was tatsächlich atypisch ist, ist dabei im Einzelfall zu prüfen. Die Finanzgerichte wollen dies in der Regel an dem Wortlaut der jeweiligen Versorgungszusage festmachen. Nicht so aber der BFH, der sich als höchstes Finanzgericht mit seinem Wahrscheinlichkeits-basierten Ansatz nun zunächst in eine Sackgasse manövriert hat. Man darf gespannt sein, welchen Ausweg er hieraus bei seinen kommenden Entscheidungen findet.

i Was ist zu tun?

  • Es bleibt für alle Beteiligten ein schwieriges Thema. Die unterschiedlichen Ansätze der Finanzverwaltung und der Finanzgerichte, deren Urteile zudem uneinheitlich sind und, was den BFH betrifft, eine Berücksichtigung in der Praxis beinahe unmöglich machen, sind unbefriedigend. Will man Verfahren vor den Finanzgerichten vermeiden, bei denen derzeit das Ergebnis kaum vorherzusagen ist, bleibt einem nur, sich den Vorgaben der Finanzverwaltung zu beugen. Wie es anderenfalls ausgehen würde, ist ungewiss.

Weitere Infos unter: weitblick@longial.de


Michael Gerhard, Aktuar (DAV), Versorgungsträger-Management, Longial
(Experte für Stellungnahmen mit rechtlichem und steuerlichem Hintergrund insbesondere im Rahmen der Verwaltung von Unterstützungskassen und für deren Jahresabschluss).